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Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Titel: Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Villa, einem der letzten Zeugnisse der einstigen Pracht und Größe dieser Stadt. Ursprünglich als Ein-Familien-Domizil erbaut, dreigeschossig und mit zahllosen Türmchen und Kaminen bewehrt, zeigte das Haus zur Seite hin eine Front aus rußgeschwärztem Stein und braunen Schindeln. Uralte, zerzauste Palmen und Zedern erhoben sich auf dem Grundstück, das rechts und links von Büro-Betonkästen flankiert wurde. Der Anblick der Fassade erschütterte meinen Realitätsbezug und versetzte mich für einen Sekundenbruchteil, in dem Vergangenheit und Zukunft die Plätze tauschten, in das Jahr 1887.
    Das Interieur bestand aus düsteren Fluchten gravitätischer Räume mit hohen Decken, dunkel gebeizter Täfelung, Relieftapeten und indirekter Beleuchtung. Gedämpfte, kaum vernehmliche Orgelklänge erzeugten eine subliminale ernste Feierlichkeit. Das Mobiliar war eine viktorianische Symphonie aus Damast und kunstvoller Holzschnitzerei, mit Ausnahme der metallenen Klappstühle in dem »Trauersaal«, in dem Chago aufgebahrt lag. Der perlgraue Sarg stand in einer Nische auf der anderen Seite des Raums. Die geöffnete Deckelhälfte gab den Blick auf das weißseidene Innere und auf das Profil des Toten frei. Den Katafalk umgaben Arrangements aus großen weißen Gladiolenstängeln und Gebinde aus weißen Nelken, weißen knospigen Rosen und Schleierkraut. Raymond hatte offensichtlich keine Kosten gescheut.
    Luis, Bibianna und ich blieben diskret am Eingang zurück, während Raymond, sein Bündel wie eine letzte Gabe vor sich hertragend, an den Sarg trat. Mir wurde klar, dass dies ja das erste Mal war, dass er Chago seit dessen Tod am Dienstagabend sah. Er senkte den Kopf und starrte in den Sarg, wobei sein Gesichtsausdruck von unserem Standort nicht zu erkennen war. Nach einem kurzen Moment bekreuzigte er sich. Ich sah, wie er den weißen Satinschal entfaltete und sich dicht über den Leichnam beugte, aber es war nicht genau auszumachen, was er tat. Gleich darauf trat er von dem Sarg zurück, um sich ein weiteres Mal zu bekreuzigen. Er zog ein Taschentuch hervor, schnäuzte sich, wischte sich über die Augen und steckte das Tuch wieder weg. Dann kam er zu uns zurück. Luis streckte den Arm aus und patschte ihn tröstend auf die Schulter. »Das ist hart, Mann«, sagte er kaum hörbar.
    Bibianna entfernte sich jetzt von uns. Sie trat zögernd und sichtlich ängstlich an den Sarg. Sie warf einen kurzen Blick auf den Toten und bekreuzigte sich dann. Sie kam wieder zurück, setzte sich und kramte in ihrer Handtasche nach einem Kleenex.
    »Wollen Sie ihn sehen?«, fragte mich Raymond. In seinen feuchten Augen stand ein Flehen, dem ich mich kaum widersetzen konnte. Für mich hat es etwas Intimes, einen Toten zu betrachten, und da ich diesen Mann gar nicht gekannt hatte, schien es mir ungehörig, mich in das Defilee seiner nächsten Freunde und Angehörigen einzureihen. Aber auf der anderen Seite schien es mir beleidigend, es zu verweigern.
    Raymond bemerkte meine Unentschiedenheit und lächelte freundlich. »Kommen Sie. Ist nicht schlimm. Er sieht prima aus.«
    Aber das war natürlich Ansichtssache. Ich hatte Chago zweimal gesehen: einmal am Dienstag bei der CF, wo er mich auf dem Gang angerempelt hatte, und dann noch einmal in dem French Quarter-Restaurant, als er Bibianna mit vorgehaltener Pistole gekidnappt hatte. Er war mir groß und massiv erschienen, aber jetzt hatte der Tod ihn schrumpfen lassen. Er sah aus wie Ken aus der Barbie-Puppen-Familie in einem überdimensionalen Verpackungskarton. Er war vielleicht vier oder fünf Jahre jünger als Raymond und genauso gutaussehend. Sein Gesicht war glatt und faltenlos, mit ausgeprägtem Kinn und vorstehenden Wangenknochen. Das Haar hatten sie ihm zu einem glänzenden, dunklen Pagenkopf geföhnt, der seinen Kopf im Verhältnis zu seinen Schultern zu breit wirken ließ. Raymonds Satinbündel hatte offenbar religiöse Gegenstände enthalten. Eine große Bibel mit weißem Stoffeinband lehnte steif vor dem kalkigen Rosa der gefalteten Hände. Über die Finger war ein Rosenkranz drapiert, und ein gerahmtes Kinderfoto lag auf dem kleinen weißen Kissen, auf dem der Kopf ruhte. Das Kissen war satinbezogen und sah aus wie eins von der Sorte, die Frauen benutzen, wenn sie ihre teure Friseur-Frisur nicht verderben wollen. Luis und ich musterten Chago so aufmerksam, wie man ein Baby betrachtet, wenn die stolzen Eltern danebenstehen.
    Um sieben kamen die ersten Leute aus dem engeren Kreis, der am

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