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Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Titel: Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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gar nicht wissen wollte. Physik, Biologie. Was hat man denn davon? Xyleme, Phloeme — das interessiert mich doch einen Dreck.«
    »Mich auch. Vor allem die Phloeme, was?«
    »Genau.« Ich lachte, in der Annahme, dass es als Scherz gedacht war.
    Er lächelte mich geradezu liebevoll an. »Wenn Bibianna doch mehr so wär’ wie Sie«, sagte er.
    »Ach, von wegen. Mein Leben ist ein einziger Murks. Zweimal geschieden. Mit Beziehungen bin ich auch nicht besser als sie.«
    Er räusperte sich. »Ich will Ihnen was sagen: Frauen taugen einfach nichts. Die meisten Frauen fliegen erst auf einen, weil man ihnen was zu bieten hat. Und dann — wissen Sie, was sie dann machen? Sie hauen ab und lassen einen einfach sitzen. Das begreif ich nicht. Was hab’ ich denn gemacht?«
    »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, Raymond. Mich haben auch schon Männer verlassen, aber deswegen sind sie nicht schlecht. Das ist einfach das Leben.«
    »Die Männer haben Sie sitzen lassen?«
    »Ein-, zweimal.«
    »Na ja, wissen Sie... das ist eben der Unterschied. Wenn mich jemand so enttäuscht hat, wie’s mir passiert ist, kann ich schwer wieder vertrauen. Verstehen Sie das?« Er starrte auf seine Bierflasche und pulte mit dem Daumennagel einen Streifen Etikett ab.
    Ich fühlte, wie ich innerlich in Habachtstellung ging, und ich wählte meine Worte sehr bedachtsam: »Ich will Ihnen was sagen, was mir mal jemand gesagt hat. >Man kann nicht machen, dass einen jemand liebt, und man kann nicht machen, dass jemand nicht sterben muss.<«
    Er starrte mich an, und seine dunklen Augen glühten beinahe. Wir schwiegen einen Moment, während er meine Worte verdaute. Er schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, was ich sag'? Jemand will mich nicht lieben? Dann soll er sterben.«
    Um Viertel vor neun kam unser Essen in sechs weißen Pappschälchen. Dabei lagen kleine, flache Plastikpäckchen mit Sojasauce und chinesischem Senf, der so scharf war, dass man Nasenbluten riskierte. Ich schaufelte meinen Teil mit der ganzen gierigen Fresslust in mich hinein, wie sie das Passivrauchen von Marihuana erzeugt. Und das war wohl auch gut so, denn die Gerichte schmeckten alle verflixt gleich. Es waren irgendwelche Gemenge mit einem Haufen Bok Choy und Bambussprossen, und eines schwamm in einer Soße, die mir vorkam wie mit Maisstärke angedickter Orangensirup. Wir schmatzten beide leise vor uns hin und putzten bis auf ein golfballgroßes Klümpchen Reis alles weg. Auf dem Zettel in meinem Fortune-Cookie stand: »Ihr sonniges Gemüt erhellt Ihre ganze Umgebung.« Und bei Raymond hieß es: »Keine zwei Straßen gleichen sich«, was absolut keinen Sinn ergab. Er schien es für eine tiefschürfende Weisheit zu halten, aber seine Augen waren auch schon ganz rosa, und er führte sich gerade einen selbstkreierten, Dope-inspirierten Snack zu — Traubengelee mit altbackenen Mais-Chips. Ich ging ins Bett, aber ehe ich das Licht ausknipste, nahm ich das geklaute Braut-Foto hervor, um es noch einmal zu betrachten. Wer war diese Frau? Ich wusste, es würde mir schon noch einfallen. Es konnte sein, dass die Person, die ich meinte, gar nichts mit dieser ganzen Geschichte zu tun hatte, aber ich glaubte es nicht.
    Ich bettete mich auf meiner klumpigen Couch zur Ruhe. Ich sehnte mich nach zu Hause und nach meinem gemütlichen Bett. Ich fühlte leise Angst in meiner Kreuzbeingegend kribbeln. Da war eine altvertraute körperliche Reaktion, die ich zunächst nicht identifizieren konnte — irgendein Stück Kindheit, das die Situation wieder zum Leben erweckte. Ich spürte einen Druck in der Magengegend — kein Schmerz, aber irgendetwas, was sich fast wie Traurigkeit anfühlte. Ich schloss die Augen. Ich sehnte mich nach Schlaf und nach irgendetwas anderem, aber ich wusste nicht, was es war. Meine Augen klappten auf, und plötzlich wusste ich es: ich hatte Heimweh.
    Meine Tante hatte mich mit acht ins Sommercamp geschickt, weil es gut für mich sei, »mal rauszukommen«. Heute ist mir klar, dass wohl sie es war, die die Erholung brauchte. Sie erklärte mir, es würde eine herrliche Zeit werden und ich würde mit lauter kleinen Mädchen meines Alters zusammen sein. Sie sagte, wir würden schwimmen und reiten und Wanderungen durch die Natur unternehmen und abends am Lagerfeuer Lieder singen.
    Details wirbelten über meine innere Leinwand. Das mit den kleinen Mädchen und den Aktivitäten hatte gestimmt. Aber eine ebenso unumstößliche Tatsache war es gewesen, dass ich nach einem halben Tag

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