Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
Telefonate, die mich keinen Zentimeter weiterbrachten. Ich rief auch noch kurz bei Mary Bellflower an und sagte ihr, ich sei noch an der Sache dran.
Um Viertel nach zwei schob ich die ganze Geschichte ärgerlich beiseite, um den Rest des Tages auf Routine-Schreibkram zu verwenden. Ich wusste, ich konnte es mir nicht leisten, mich an Bibianna Diaz festzubeißen. Mit Gordon Titus im Nacken musste ich zusehen, dass ich vorankam. Ich wühlte mich weiter durch den Papierkram, aber auch wenn ich mich auf andere Sachen konzentrierte, fühlte ich die Geschichte an mir zerren. Da war etwas, was mich nicht losließ. Es ist zwar im Grund keine große Sache, wenn ein Sachbearbeiter eine Akte an eine Kollegin weitergibt, aber Parnell war tot, und das war wohl der Unterschied.
4
Am nächsten Morgen schlüpfte ich nach dem Duschen in meine Allzweck-Uniform. Ich hatte mir dieses Outfit vor Jahren von einem Ex-Ganoven schneidern lassen, der an den großen Maschinen in irgendeinem Bundesgefängnis nähen gelernt hatte. Die Hose war blaugrau und unvorteilhaft, mit einem hellblauen Streifen entlang der Außennaht. Das dazu passende blaue Hemd hatte auf dem Ärmel ein kreisrundes Stück Klett-Material, auf dem normalerweise ein Stoffabzeichen mit der Aufschrift »Energie- und Wasserversorgung Südkalifornien« saß. Die Schuhe, ein Relikt aus meinen Polizeitagen, waren schwarz und sahen aus, als könnte ich darin nur schwer die Füße vom Boden hochkriegen. Dazu noch ein Notiz-Brett und ein gewichtiger Schlüsselbund, und ich konnte als fast alles durchgehen. Gewöhnlich gab ich vor, die Wasseruhr abzulesen oder nach Lecks in der Gasleitung zu fahnden oder sonst irgendein offizielles Amt zu versehen, das es erfordert, in anderer Leute Gartensträuchern herumzukriechen und an ihren Alarmanlagen herumzufingern. Heute wählte ich ein Blumenzustelldienst-Abzeichen. Dann machte ich mich auf den Weg zum nächsten Blumenladen, wo ich sechsunddreißig Dollar für ein Riesenbouquet hinblätterte. Ich erstand eine kitschige Genesungskarte, unterschrieb sie mit einem erfundenen Namen und rief bei der Reinigung an, wo Bibianna arbeitete. Diesmal war eine Frau am Apparat.
»Oh, hallo!«, sagte ich. »Könnte ich bitte den Chef sprechen?«
»Hier ist die Reinigungsfirma. Er ist gerade auf dem Weg in die andere Filiale«, sagte sie. »Möchten Sie die Nummer?«
»Gern.«
Sie gab mir die Nummer langsam durch, und ich wiederholte sie, als würde ich sie mir notieren. Sie konnte mich ja nicht sehen.
»Danke«, sagte ich. Ich legte auf und stieg rasch in meinen Wagen. Die Blumen deponierte ich auf dem Beifahrersitz. Ich fuhr zu der Reinigung. Direkt davor war eine hübsche grüne Bordsteinzone: fünfzehn Minuten freies Parken. Ich schloss den Wagen ab und ging hinein. Ich wartete kurz am Ladentisch. Es roch nach Waschmitteln, feuchter Baumwolle, Chemikalien und Dampf. Der Raum hinter der Ladentheke war ein Wald aus Textilien in durchsichtigen Plastiksäcken. Links von mir expedierte ein ausgeklügeltes elektronisches System Kleidungsstücke eine kompliziert geschlängelte Schiene entlang, die in sich geschlossen war, sodass jedes Stück an Bord an der Haltestation in Empfang genommen werden konnte, wenn man die richtige Nummer eingab.
Auf der rechten Seite hingen an einem Gewirr von Röhren lauter Kleidungsstücke, die gerade gebügelt wurden. In meinem Gesichtsfeld arbeiteten zehn Frauen, die meisten Chicanas, an Maschinen, deren Funktion ich nur erahnen konnte. Aus einem Radio, das auf einen spanischsprachigen Sender eingestellt war, dröhnte eine aufgepeppte Version eines Linda-Ronstadt-Songs. Zwei der Frauen sangen mit, während sie virtuos Herrenhemden durch die vor ihnen stehenden Maschinen laufen ließen. Der synkopische Rhythmus der Dampfpressen, die Hemden-Bügelmaschinen, die Dampfwolken — das alles wirkte wie das perfekte Setting für eine Musical-Szene.
Schließlich bemerkte mich eine der beiden singenden Frauen. Sie erhob sich von ihrer Maschine und kam an den Ladentisch. Sie war klein und kompakt, mit einem runden Gesicht, Augen wie braune Smarties und dickem, dunklem Haar, das von einem Haarnetz zurückgehalten wurde. Ihre weite Goldsatin-Bluse war mit Ziermünzen benäht. Sie sah auf den Blumenstrauß. »Sind die für mich?«
Ich musterte die Begleitkarte. »Sind Sie Bibianna Diaz?«
»Nee. Die ist die Woche nicht da.«
»Sie kommt gar nicht her?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Hat was am Rücken. Von ihrem Autounfall.
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