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Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Titel: Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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quecksilbriges Lachen.
    Die Band legte wieder los, und Bibianna begann, im Gehen zu tanzen, mit den Fingern zu schnippen und sich mit einem Beckenstoß hier und einem Hüftschwung da ihren Weg durch die Menge zu bahnen. Sie ließ den Blick über die Gesichter schweifen, und ich fragte mich, wen sie wohl suchte. Das Rätsel sollte sich bald lösen. Sie drehte noch einen Zahn weiter auf — wie der plötzliche Stromschub vor einem Elektrizitätsausfall. Ihr Körper schien eine spürbare Hitze abzustrahlen.
    »Warten Sie mal kurz«, sagte sie. »Ich bin gleich wieder da.«
    Ein blonder Typ löste sich aus der Horde an der Bar. Er hatte lockiges Haar, eine Metallbrille, ein Schnauzbärtchen und ein ausgeprägtes Kinn, und seine Mundwinkel waren zu einem leisen Lächeln nach oben gezogen. Ich merkte, dass ich seine äußeren Kennzeichen registrierte wie ein Streifenpolizist die eines Verdächtigen. Ich kannte den Mann. Er war mittelgroß, breitschultrig und schmalhüftig und trug Jeans und ein eng anliegendes schwarzes Polohemd mit kurzen Ärmeln, die sich über den wohlentwickelten Oberarmmuskeln stauten. Tate. Der verrückte Jimmy. Wie viele Jahre war es her, dass wir uns das letzte Mal gesehen hatten? Er betrachtete Bibianna mit Besitzermiene, die Daumen so in die Gürtelschlaufen gehakt, dass seine Hände die Wölbung unter der Vorderfront seiner Hose einzurahmen schienen. Sein Macho-Gehabe wurde durch Selbstironie gebrochen, eine unwiderstehliche Mischung aus Humor und Selbsterkenntnis. Ich beobachtete, wie er auf Bibianna zukam und sie jetzt schon in eine Art wortloses Vorspiel verwickelte. Niemand sonst schien sie zu beachten. Sie näherten sich der Tanzfläche von benachbarten Seiten, um sich irgendwo in der Mitte zu treffen, als sei jede Bewegung choreographisch genau festgelegt. Wenn das kein Balzritual war.
    An einem Tisch standen jetzt Leute auf, und ich schnappte mir einen der freien Stühle. Ich drapierte meine Jacke abschreckungshalber über die Lehne des Nachbarstuhls. Als ich wieder zur Tanzfläche hinüberschaute, war Bibianna nicht mehr zu sehen, aber ich erhaschte einen Schimmer ihres roten Kleids in dem Gewoge und ab und zu für einen Moment das Gesicht ihres Partners. Ich hatte ihn früher in einem völlig anderen Kontext erlebt, und es gelang mir nicht so ganz, meine Wahrnehmung von damals mit diesem Bild übereinzubringen. Sein Haar war früher kürzer gewesen, und der Schnauzer war neu, aber die Ausstrahlung war dieselbe. Jimmy Tate war Polizist — oder inzwischen wohl eher Ex-Polizist, wenn die Gerüchte stimmten. Unsere Wege hatten sich das erste Mal in der Grundschule gekreuzt — in der fünften Klasse, als wir für ein halbes Jahr Seelengefährten gewesen waren, zusammengeschweißt durch einen geheimen Pakt, den wir mit einem Zungenkuss besiegelt hatten. Ganz hochfeierlich. Jimmy war, wie man so schön sagt, ein »Problemkind« gewesen. Ich weiß nicht genau, was mit seinen Eltern war, aber er war bei verschiedenen Pflegeeltern aufgewachsen, da ihn zuerst eine und später dann auch die nächste Familie wieder abgeschoben hatte. Er galt schon mit acht als »unverbesserlich«. Er war rebellisch und hatte einen Hang zu Faustkämpfen, die mit blutigen Nasen endeten. Er war ein notorischer Schulschwänzer, und da ich damals selbst viel schwänzte, entspann sich zwischen uns ein seltsames Band. Ich war zwar in vielerlei Hinsicht ein schüchternes Kind, hatte aber durchaus auch eine wilde Seite, geboren aus der Trauer über den Verlust meiner Eltern mit fünf. Meine Auflehnung erwuchs aus Angst Jimmys aus Wut, aber das äußere Resultat war das gleiche. Ich konnte das Leid und die Zartheit sehen, die sich unter seinem Trotz verbargen. Vielleicht habe ich ihn sogar auf meine unschuldige, vorpubertäre Weise geliebt. Er war, als wir uns kennen lernten, gemessen an meinen elf Jahren mindestens zwanzig, ein gebeutelter junger Mensch, der nie gelernt hatte, was Selbstbeherrschung war. Mehr als einmal war er mir beigesprungen, indem er irgendeinen tyrannischen Fünftklässler, der mich zu drangsalieren versuchte, kurzerhand windelweich prügelte. Ich erinnerte mich noch gut an das berauschende Gefühl, wenn wir zusammen aus dem Schulhof entwischten, freiheitstrunken, obwohl wir wussten, dass dieses Glück von kurzer Dauer sein würde. Er brachte mir das Rauchen bei, versuchte, mich mit Aspirin und Cola high zu machen, zeigte mir den Unterschied zwischen Jungen und Mädchen. Ich weiß noch genau, mit

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