Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass
vornübergebeugt und spähte durch das metallene Trenngitter zwischen den Vordersitzen und dem Fond des Polizeiwagens. Es war jetzt 1 Uhr 17, und mein Kopf schmerzte. Der Regen war inzwischen ein Vorhang aus feinen Wasserschnüren, der gegen die Straßenlaternen wehte und zu kleinen Dampfschwaden verpuffte. Das Geräusch war ganz gemütlich, wie Reiskörner, die auf ein Backblech prasseln. Binnen Minuten steigerte sich das Gepladder auf dem Wagendach zu einem steten Trommeln. Eigentlich sitze ich gern im parkenden Auto, wenn es gießt. Es ist so heimelig, und man fühlt sich so geschützt und geborgen — aber das kommt natürlich auf die Umstände an. Die Leute von vorhin standen immer noch auf der dunklen Straße herum und waren alle so bemüht, meinen Anblick zu meiden, als wäre ich aussätzig. Wer hinten in einem Polizeiauto sitzt, sieht automatisch schuldig aus. Der Krankenwagen war zur Seite gefahren, um dem Gerichtsmediziner ungehinderten Zugang zu dem Toten zu ermöglichen. Chago war mit einer gelben Plastikplane zugedeckt. Auf dem Gehsteig war geronnenes Blut, das aussah wie eine klebrige Öllache, und in der Luft lag immer noch ein leiser Pulvergeruch. Der Polizeifunk quäkte unverständliches Zeug. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte ich jedes Wort verstanden. Nichts mehr drin. Ich hatte kein Ohr mehr dafür, so wie es einem mit einer Fremdsprache geht, mit der man nichts mehr zu tun hat.
Bibianna wurde gerade von dem inzwischen eingetroffenen Inspektor verhört. Sie war klatschnass, und das Kleid, das an ihrem Körper klebte, hatte die Farbe von dunklem Blut. Sie schien sich zu beschweren, obgleich ich kein Wort hören konnte. Nach ihrer Schulterhaltung und der Miene des Inspektors zu urteilen, war sie jetzt zahm, aber unkooperativ. Der Inspektor wedelte unwirsch mit der Hand. Der gleiche Beamte, der mich zum Streifenwagen gebracht hatte, bugsierte jetzt Bibianna in meine Richtung. Sie wurde gefilzt, in Anbetracht der Umstände eine lächerliche Formalität. Was für eine Waffe sollte sie denn schon unter dem winzigen Minikleidchen versteckt haben? Die hintere Tür des Polizeiautos wurde aufgerissen, und der Polizist drückte ihr den Kopf herunter und schob sie neben mich auf den Rücksitz. Sie hatte einen Teil ihrer Kräfte wiedererlangt und schnappte nach der Hand des Beamten wie ein tollwütiger Hund. »Nimm deine miesen Pfoten weg, du Arschficker!«, schrie sie.
Reizend. Mit solchen Leuten muss man zwangsweise zusammenrücken, wenn man verhaftet wird. Wegen der Handschellen auf dem Rücken kippte sie halb über mich. Ehe der Polizist die Wagentür schließen konnte, trat sie mit einem ihrer Stilettoabsätze nach ihm. Zu seinem Glück verfehlte sie ihn. Sonst hätte sie ihm glatt einen Fleischfetzen aus dem Oberschenkel gerissen. Er war erstaunlich höflich — wozu sicher auch der Umstand beitrug, dass er ihr unter den Rock gucken konnte — , aber ich merkte, dass er sich beeilte, die Tür zuzukriegen, ehe sie noch einmal zutreten konnte. Sie war ein Satansbraten, durch nichts einzuschüchtern. Einen Moment lang dachte ich, sie würde im Liegen die Fensterscheiben eintreten. Aber sie murmelte jetzt etwas vor sich hin und setzte sich auf.
Sie warf sich mit einer ruckartigen Kopfbewegung die Haare aus dem Gesicht. Ein paar Wassertropfen trafen mich. »Haben Sie das gesehen? Ich hätte draufgehen können! Diese Arschlöcher wollten mich umbringen!« Sie meinte die Polizisten, nicht Chago und die Blonde.
»Die Bullen haben nicht versucht, Sie umzubringen«, sagte ich gereizt. »Was erwarten Sie denn? Sie toben einfach los und hauen einer Beamtin eine rein — was haben Sie denn gedacht, was da passiert?«
»Sie haben’s gerade nötig. Sie haben doch zweimal so fest zugelangt wie ich.« Sie maß mich mit einem taxierenden Blick, und ich merkte, dass ihr meine boxerischen Fähigkeiten immerhin ein Fünkchen Bewunderung abnötigten. Sie versuchte jetzt, einen der Polizisten draußen neben dem Auto niederzustarren. »Gott, ich hasse diese Bullenschweine«, bemerkte sie.
»Sie scheinen von Ihnen auch nicht gerade entzückt«, sagte ich.
»Das ist kein Witz! Ich könnte sie anzeigen. Wegen Misshandlung.«
»Was läuft hier eigentlich ab?«
»Vergessen Sie’s. Geht Sie nichts an.«
Sie guckte aus dem Wagenfenster, und ich folgte ihrem Blick. Zwei Polizisten hielten Kriegsrat, vermutlich über unseren Transfer zum Revier. Ich wollte, dass sie endlich voranmachten. Mir war kalt. Mein Hemd war
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