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Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Titel: Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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würdigte den Schlüssel kaum eines Blicks und steckte ihn mit steinerner Miene in ihre Handtasche. Es machte ihn sichtlich verlegen, dass sie keinerlei Begeisterung für das zeigte, was ihm ein solches Herzensanliegen war.
    Das Problem im wirklichen Leben ist, dass es nicht musikalisch untermalt ist. Im Kino weiß man immer, wann es gefährlich wird, weil die Szene mit einem unheildräuenden Akkord unterlegt ist, einer Dissonanz, die vor den Haien im Wasser und den Schurken hinter der Tür warnt. Im wirklichen Leben läuft alles so verdammt still ab, dass man nie genau weiß, wann es brenzlig wird. Es sei denn, man schneit zufällig in ein fremdes Apartment, das voller finsterer Typen mit Haarnetzen ist. Ich persönlich habe noch nie verstanden, wieso ausgerechnet das Haarnetz zum Symbol des Schurken schlechthin geworden ist. Da waren gleich fünf solcher Typen, alle Latinos um die zwanzig und alle in dicken, bis unters Kinn zugeknöpften Pendleton-Wollhemden. Drei hockten am Küchentisch, einer davon mit seiner Freundin auf dem Schoß. Ein zweites Mädchen saß mit lang ausgestreckten bloßen Beinen daneben, den engen Rock bis zur Mitte der Oberschenkel hochgeschoben. Sie rauchte eine Zigarette und übte, mit ihrem knallrot geschminkten Schmollmund Rauchringe hervorzubringen. Zwei Burschen, die lässig an der Wand lehnten, nahmen Haltung an, als Raymond zur Tür hereinkam. An der Wand hing ein selbst gemachtes Schild mit der Aufschrift »R. I. P.« ganz oben, Chagos Namen in Großbuchstaben ganz unten, zwischen einem Paar betender Hände und einem Kruzifix. Daneben hatte jemand mehrere Fotos von Chago an die Wand gepinnt. Außerdem hing da noch etwas, das aussah wie eine Art Nachruf. Zwischen den Zeitungsstapeln auf dem Tisch lag ein Stoß selbstfabrizierter, flugblattartiger Todesanzeigen: Fotokopien eines säuberlich von Hand geschriebenen Texts. Aus den düsteren Mienen und der Zahl der herumstehenden leeren Bierflaschen schloss ich, dass das hier wohl Chagos engster Freundeskreis war und wir mitten in eine improvisierte Totenwache geplatzt waren. Ich sah Raymond an, konnte aber keine Reaktion entdecken. Schmerzte ihn der Tod seines Bruders denn gar nicht?
    Ich gab mir alle Mühe, locker und lässig aufzutreten. Was hatte ich schon zu fürchten? Ich war ja schließlich keine Gefangene, sondern Raymonds Gast. Ich würde nur auskundschaften, was Lieutenant Dolan wissen wollte, und mich dann wieder davonmachen. Zugegeben, ich trieb mich normalerweise nicht in Gangster-Kreisen herum, aber ich war doch immer um Aufgeschlossenheit bemüht. Es gab nun einmal kulturelle Unterschiede, andere Normen und Gewohnheiten, von denen ich keinen blassen Schimmer hatte, geschweige denn ein fundiertes Bild. Aber deswegen war ja noch niemand ein schlechter Mensch, nicht wahr? Warum also gleich mit dem Schlimmsten rechnen? Weil du nicht weißt, was zum Teufel du da tust, sagte eine leise Stimme in meinem Innern.
    Die Luft war grau von Rauchschwaden, die zum Teil von Marihuana herrührten, einem Stoff, mit dem ich seit meiner High-School-Zeit nichts mehr am Hut gehabt hatte (außer während der kurzen Phase, als Daniel Wade in meinem Leben eine Rolle gespielt hatte). Die Innenausstattung bestand, so weit ich das auf den ersten Blick sehen konnte, aus einem königsblauen Plüschteppichboden und jener Sorte Mobiliar, wie es jenseits der mexikanischen Grenze am Straßenrand verkauft wird. (Und auch in Orange County, am Euclid, südlich des Garden Grove Freeway.) Anscheinend hatte Raymond versucht, das Interieur nobler zu gestalten, indem er die gesamte Wand zu meiner Linken mit goldenen Spiegelkacheln bepflastert hatte. Leider waren diese Fliesen jedoch wohl erst kürzlich mit einem Küchenstuhl zerschmettert worden, der jetzt mit verrenkten Chrombeinen in der Ecke lag. Die Scherben waren zum größten Teil weggefegt, aber an der freigelegten Wand konnte ich noch Blutspuren sehen. Sie waren weder hellrot noch feucht, aber es war doch offensichtlich, dass sich hier vor nicht allzu langer Zeit etwas Schreckliches abgespielt hatte. Niemand nahm in irgendeiner Weise Bezug auf die Verwüstung. Raymond zeigte auch keinerlei Neugier, was mich in dem Verdacht bestätigte, dass er selbst der Urheber war. Bibianna registrierte die Spuren, sagte aber nichts, wahrscheinlich, weil sie wusste, dass es so klüger war. Ich riss meine Augen von der Wand los.
    Nach rechts sah man in das offene L einer Küche, wo sich auf sämtlichen waagerechten Flächen

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