Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
nicht, daß Mrs. Jaffe uns in Zukunft noch Schwierigkeiten machen wird. Sobald Sie Ihren Bericht eingereicht haben, übergeben wir die ganze Angelegenheit unserem Anwalt, und der kann sich dann um die rechtliche Absicherung kümmern. Wir werden wahrscheinlich nicht einmal gerichtlich vorgehen müssen. Sie kann die Gelder, die noch da sind, zurückgeben, und damit ist die Sache erledigt. Im übrigen sehe ich keinen Grund, warum wir nicht auch in Zukunft zusammenarbeiten können, natürlich immer von Fall zu Fall.«
Ich starrte ihn fassungslos an. »Wir können das doch nicht einfach so abschließen. Wir haben keine Ahnung, was mit Jaffe los ist.«
»Es ist völlig unerheblich, was mit Jaffe los ist. Wir haben Sie beauftragt, ihn ausfindig zu machen, und das haben Sie getan — sehr geschickt, darf ich sagen. Für uns kam es nur darauf an, nachzuweisen, daß er lebt, und das haben wir hiermit getan.«
»Aber wenn er nun tot ist?« fragte ich. »Dann hätte seine Frau doch Anspruch auf das Geld.«
»Ja, aber sie müßte erst den Beweis erbringen. Und was hat sie in der Hand? Nichts.«
Völlig unzufrieden und verwirrt sah ich Mac an. Der wich meinem Blick aus. Er fühlte sich offensichtlich gar nicht wohl in seiner Haut und hoffte wahrscheinlich, ich würde jetzt keinen Wirbel machen. Ich erinnerte mich an seine Beschwerden über die California Fidelity an jenem Tag, als er in mein Büro gekommen war.
»Findest du das in Ordnung? Ich finde es ausgesprochen seltsam. Wenn sich heraussteilen sollte, daß Jaffe etwas zugestoßen ist, dann hätte sie Anspruch auf die Lebensversicherung. Dann brauchte sie keinen Penny zurückzugeben.«
»Hm, ja, aber sie müßte einen neuen Antrag stellen«, sagte Mac.
»Ja, aber arbeiten wir denn nicht zusammen, um dafür zu sorgen, daß Forderungen auf faire Weise erledigt werden?« Ich sah von einem zum anderen.
Gordons Gesicht war ausdruckslos. Das war seine Art, seine Abneigung zu kaschieren, nicht nur gegen mich, sondern gegen die Menschen im allgemeinen. In Macs Ausdruck sah ich Schuldbewußtsein. Niemals würde er Gordon Paroli bieten. Niemals würde er sich beschweren. Niemals würde er Stellung beziehen.
»Interessiert sich denn niemand für die Wahrheit?« fragte ich.
Gordon stand auf und schlüpfte in sein Jackett. »Ich überlasse das Ihnen«, sagte er zu Mac. Und zu mir: »Wir wissen Ihre Gewissenhaftigkeit zu schätzen, Kinsey. Wenn wir einmal jemanden brauchen sollten, um unserer Gesellschaft eine Haftung in Höhe von einer halben Million Dollar nachzuweisen, werden wir uns vertrauensvoll an Sie wenden. Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind. Wir erwarten Ihren Bericht am Montagmorgen.«
Nachdem er gegangen war, blieben Mac und ich noch einen Moment schweigend sitzen, ohne uns anzusehen. Dann stand ich auf und ging.
Ich setzte mich in meinen Wagen und fuhr nach Perdido. Ich mußte wissen, was gespielt wurde. Niemals würde ich die Sache in dieser Phase einfach auf sich beruhen lassen. Vielleicht hatten sie recht. Vielleicht war er getürmt, auch die Sorge um seine Frau, seine Söhne, sein Enkelkind war nichts als Getue gewesen. Er war kein Fels in der Brandung. Er hatte weder Skrupel noch Moralgefühl, aber ich konnte mich jetzt nicht einfach achselzuckend abwenden. Ich mußte wissen, wo er war, und erfahren, was aus ihm geworden war. Er war ein Mann, der weit mehr Feinde als Freunde hatte, und das verhieß nichts Gutes — es erschien mir bedrohlich und beunruhigend. Konnte es nicht sein, daß jemand ihn getötet hatte und daß die Flucht nur vorgetäuscht war? Ich hatte meinen Scheck und einen freundlichen Händedruck bereits erhalten. Meine Zeit gehörte mir, ich konnte tun, was mir beliebte. Und ich wollte Antworten auf meine Fragen.
Perdido hat etwa zweiundneunzigtausend Einwohner. Zum Glück hatte ein kleiner Prozentsatz der Einwohnerschaft Dana Jaffe postwendend angerufen, als bekannt wurde, daß man die Lord gefunden hatte. Jeder nimmt gern am Unglück anderer Anteil. Mit atemloser Neugier, in die sich Grauen und Dankbarkeit mischen, erleben wir die Katastrophe aus sicherem Abstand mit. Ich dachte mir, daß Danas Telefon bis zu meiner Ankunft bestimmt mehr als eine Stunde ununterbrochen geläutet hatte, und war froh darüber. Denn ich wollte nicht diejenige sein, die sie vom neuerlichen Verschwinden ihres Mannes unterrichtete. Von seinem Tod zu erfahren hätte sie höchlichst erfreut, aber ich hielt es für unfair, meinen Verdacht mitzuteilen, solange
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