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Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser

Titel: Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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glücklich?«
    »Er hat Rosie gebeten, seine Frau zu werden.«
    Ich starrte Henry fassungslos an. »Das gibt’s doch nicht. Im Ernst? Mensch, das ist ja Klasse. Du lachst dich kaputt.«
    »Also, ich würde nicht gerade sagen, daß es zum Lachen ist. Es zeigt nur, was passiert, wenn man in Sünde miteinander lebt.«
    »Sie leben seit einer Woche in Sünde. Und jetzt macht er eine >ehrenhafte< Frau aus ihr, was auch immer das heißt. Ich finde es süß.« Ich packte Henry am Arm und schüttelte ihn. »Du hast doch in Wirklichkeit gar nichts dagegen, oder? Ich meine, ganz tief im Innern.«
    »Sagen wir mal so — ich bin nicht so entsetzt, wie ich glaubte, daß ich sein würde. Ich hab’ mich schon an dem Tag, an dem er zu ihr gezogen ist, mit der Möglichkeit abgefunden. Er ist ein viel zu konventioneller Mensch, um gegen den Strom zu schwimmen.«
    »Und wann steigt das Ganze?«
    »Ich habe keine Ahnung. Sie haben noch kein Datum festgesetzt. Er hat sie ja erst heute abend gefragt. Sie hat noch nicht eingewillgt.«
    »Ach so! So wie du geredet hast, dachte ich, es wäre eine klare Sache.«
    »Äh, nein, aber einen Mann von seinem Format wird sie wohl kaum abblitzen lassen.«
    Ich gab ihm einen Klaps auf die Hand. »Du bist ja ein richtiger kleiner Snob, Henry.«
    Er sah mich lächelnd an und zog die Brauen über den blauen Augen hoch. »Ich bin kein kleiner Snob, ich bin ein großer. Komm, ich begleite dich nach Hause.«
    Zu Hause nahm ich eine Handvoll Tabletten gegen meine diversen Erkältungssymptome und eine Dosis NyQuil für ungestörten Schlaf. Um sechs wälzte ich mich schlaftrunken aus meinem Bett und stieg in meinen Jogginganzug. Beim Zähneputzen machte ich Inventur: Meine Bronchien waren immer noch verstopft, aber der Schnupfen war fast weg, und der Husten hörte sich nicht mehr so an, als sei meine Lunge am Rande des Kollaps. Meine Hautfarbe war heller geworden und hatte den sanften Goldton von Aprikosen angenommen. In ein, zwei Tagen, sagte ich mir, würde ich meine natürliche Hautfarbe wiederhaben. Nie habe ich mich so sehr nach meinem blassen Teint gesehnt.
    Ich packte mich fest ein gegen die Morgenkühle. Mein graues Joggingzeug hatte fast die Farbe des Ozeans. Der Sand am Strand war kreidehell, von der auslaufenden Tide mit Schaum gesprenkelt. Grauweiße Möwen standen reglos am Strand und starrten ins Wasser. Der Himmel am Horizont leuchtete in einer Mischung aus Milchweiß und Silber, und die Inseln im Kanal waren durch den Morgendunst nur schemenhaft zu erkennen. In den fernen Gebieten des Pazifik war jetzt Hurricansaison, aber bisher hatte uns nicht einmal eine Ahnung tropischer Brandung erreicht. Es herrschte eine tiefe Stille, die vom sanften Plätschern der Wellen akzentuiert wurde. Soweit das Auge reichte war keine Menschenseele zu sehen. Der Dreimeilenlauf wurde zur Meditation; nur ich, mein keuchender Atem und das Spiel meiner Beinmuskeln. Als ich wieder zu Hause war, war ich bereit, den Tag anzupacken.
    Durch die Wohnungstür hörte ich gedämpft das Läuten des Telefons. Hastig sperrte ich auf. Beim dritten Läuten schaffte ich es und hob keuchend den Hörer an mein Ohr. Es war Mac.
    »Was ist denn los, daß du mich so früh anrufst?« Ich drückte mein Gesicht in mein T-Shirt, um einen Hustenanfall zurückzuhalten.
    »Wir hatten gestern abend eine Besprechung. Gordon Titus hat von dieser Geschichte mit Wendell Jaffe Wind bekommen und möchte mit dir sprechen.«
    »Mit mir?« krächzte ich.
    Mac lachte. »Er beißt nicht.«
    »Das braucht er auch gar nicht«, versetzte ich. »Titus kann mich nicht ausstehen und ich ihn genausowenig. Er behandelt mich wie den letzten Dreck.«
    »Trotzdem solltest du herkommen, so schnell du kannst.«
    Ich blieb noch einen Moment sitzen und streckte dem Telefon die Zunge heraus, meine gewohnt reife Art, mit der bösen Welt umzugehen. Ich stürzte nicht, wie mir empfohlen worden war, Hals über Kopf zur Tür hinaus. Erst mal zog ich meinen Jogginganzug aus, nahm eine heiße Dusche, wusch mir gründlich das Haar und zog mich an. Ich machte mir ein kleines Frühstück und las dabei mit großem Interesse die Zeitung. Danach wusch ich Tasse, Teller und Löffel ab und trug den Müll hinaus. Als mir keine weiteren Vorwände zur Vermeidung des Unvermeidlichen einfielen, nahm ich meine Handtasche, einen Stenoblock und meine Wagenschlüssel und machte mich auf den Weg. Ich hatte Magenschmerzen.
    Das Büro hatte sich kaum verändert, obwohl mir zum erstenmal eine

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