Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
Hilfe sein würde, aber man konnte nie wissen. Einige dieser alten Polizeibeamten tun nichts lieber als in Erinnerungen schwelgen. Er konnte mir vielleicht einen Tip geben, wo Jaffe untergeschlüpft sein konnte. Und bis dahin, was? Ich ging in den Kopierraum und machte einen ganzen Stapel Kopien von dem Flugblatt mit Jaffes Fotografie. In einem Kästchen unten auf dem Blatt hatte ich meinen Namen und meine Telefonnummer angefügt und auf mein Interesse am Verbleib des Mannes hingewiesen.
Ich tankte und brauste wieder einmal nach Perdido. Ich tuckerte langsam an Danas Haus vorbei, wendete an der Kreuzung und parkte auf der anderen Straßenseite. Dann begann ich, von Haus zu Haus zu gehen, um die Nachbarn zu befragen. Ein Haus nach dem anderen klapperte ich ab, und wo niemand zu Hause war, hinterließ ich ein Flugblatt. Auf Danas Straßenseite arbeiteten offenbar viele Paare; die Häuser waren dunkel, und es standen keine Autos davor. Wenn ich jemanden zu Hause antraf, lief das Gespräch eigentlich stets nach dem gleichen langweiligen Muster ab. »Guten Tag«, sagte ich und beeilte mich, mein Anliegen vorzubringen, um nicht für eine Hausiererin gehalten zu werden. »Ich hoffte, Sie könnten mir vielleicht weiterhelfen. Ich bin Privatdetektivin und versuche, einen Mann ausfindig zu machen, von dem wir glauben, daß er sich hier in der Gegend aufhält. Haben Sie ihn vielleicht kürzlich gesehen?« Dann hielt ich die Polizeizeichnung von Wendell Jaffe hoch und wartete ohne große Hoffnung, während mein Gegenüber das Gesicht musterte.
Viel geistiges Kinnreiben. »Nein, ich glaube nicht. Nein, Madam. Was hat der Mann denn getan? Er ist doch hoffentlich nicht gefährlich.«
»Er wird in Zusammenhang mit einer Betrugsaffäre gesucht.«
Hand hinter das Ohr gelegt. »Wie bitte?«
Ich hob dann meine Stimme. »Erinnern Sie sich vielleicht an diese Immobilienaffäre vor ein paar Jahren? Zwei Männer, die mit ihrer Firma namens CSL Investments den Leuten unerschlossene Grundstücke verkauft —«
»Ach, du lieber Gott, natürlich. Klar, daran erinnere ich mich. Der eine hat sich umgebracht, der andere mußte ins Gefängnis.«
Und so ging es weiter, immer im Kreis, ohne daß irgend jemand mir etwas Neues sagen konnte.
Auf der anderen Straßenseite, schräg gegenüber von Dana, hatte ich mehr Glück. Ich klopfte an die Tür eines Hauses, das ein Abklatsch des ihren war, ebenso dunkelgrau, mit den gleichen weißen Fenstern und Türen. Der Mann, der mir öffnete, war Anfang Sechzig. Er trug Shorts, ein Flanellhemd, dunkle Socken und, völlig unpassend, robuste zwiegenähte Schuhe. Sein graues Haar war borstig. Über die schmutzigen Halbgläser seiner Brille hinweg sah er mich mit seinen blauen Augen fragend an. Ein weißer Stoppelbart bedeckte die untere Hälfte seines Gesichts, möglicherweise das Resultat einer Weigerung, sich mehr als zweimal die Woche zu rasieren. Er hatte schmale Schultern, und seine Haltung war leicht gebeugt. Er verkörperte eine merkwürdige Mischung aus Eleganz und Resignation. Vielleicht waren die festen Schuhe ein Relikt seiner früheren beruflichen Tätigkeit. Ich tippte auf Vertreter oder Börsenmakler, jedenfalls jemand, der sein Leben praktisch im Nadelstreifenanzug verbrachte.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte er automatisch.
»Ich wollte Sie um Ihre Hilfe bitten. Kennen Sie zufällig Mrs. Jaffe, die hier gegenüber wohnt?«
»Die Frau mit dem Jungen, der nur verrückte Sachen treibt? Wir kennen die Familie«, sagte er vorsichtig. »Was hat er denn jetzt wieder angestellt? Oder, was hat er nicht angestellt, das wäre wohl die bessere Frage in diesem Fall.«
»Mir geht es um seinen Vater.«
Einen Moment blieb es still. »Ich dachte, der sei tot.«
»Das dachten bis vor kurzem alle. Jetzt haben wir Anlaß zu glauben, daß er lebt und möglicherweise auf dem Rückweg nach Kalifornien ist. Das ist ein Bild von ihm, das seinem heutigen Aussehen entspricht. Hier unten steht meine Telefonnummer. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich anrufen würden, falls Sie ihn sehen sollten.« Ich hielt ihm das Flugblatt hin, und er nahm es.
»Na, das ist ja nicht zu glauben. Bei diesen Leuten ist doch immer was los«, sagte er. Sein Blick wanderte von Wendell Jaffes Konterfei zu Danas Haus und dann zurück zu mir. »Es geht mich ja nichts an, aber in was für einer Beziehung stehen Sie zu den Jaffes? Sind Sie eine Angehörige?«
»Ich bin Privatdetektivin und arbeite für die
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