Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
Heirat und den nachfolgenden finanziellen Schwierigkeiten. Keine Rede war von dem Gefängnisausbruch und der brutalen Schießerei. Das waren Episoden und Zwischenfälle, unerklärliche Ereignisse, an denen keiner der Jungen Schuld zu tragen schien.
Als hätte sie meine Gedanken aufgenommen, wechselte sie plötzlich das Thema. Sie ging in den Flur und nahm den Staubsauger. Auf quietschenden Rollen zog sie ihn hinter sich her, suchte die nächste Steckdose und zog genug Kabel heraus, um ihn anschließen zu können...
»Vielleicht bin ich an allem schuld, was Brian durchgemacht hat. Ich kann Ihnen nur sagen, als Alleinerziehende zwei Kinder großziehen zu müssen, das ist der härteste Job, den ich je kennengelernt habe. Wenn man dazu auch noch mittellos ist, kann man nur verlieren. Brian hätte die beste Hilfe gebraucht. Statt dessen hat er gar nichts bekommen, was Therapie angeht. Seine Probleme sind nur verstärkt worden, und das ist ja wohl kaum seine Schuld.«
»Wollen Sie mit den beiden reden? Ich möchte mich nicht einmischen, aber ich muß mit Brian sprechen.«
»Warum? Wozu? Wenn mein Mann wirklich hier auftaucht, hat das mit ihm nichts zu tun.«
»Vielleicht doch. Von der Schießerei in Mexicali haben alle Zeitungen berichtet. Ich weiß, daß Ihr Mann in Viento Negro die Blätter gelesen hat. Es ist doch durchaus vorstellbar, daß er unter diesen Umständen hierher zurückkommen würde.«
»Sie wissen das nicht sicher.«
»Nein. Aber nehmen Sie nur einmal an, es ist wahr. Meinen Sie nicht, Brian sollte erfahren, was vorgeht? Sie möchten doch nicht, daß er eine Dummheit macht.«
Das schien anzukommen. Ich konnte sehen, wie sie die verschiedenen Möglichkeiten erwog. Sie zog die Düse für die Polstermöbel ab und schob die für Boden und Teppich auf das Rohr. »Und warum nicht, verdammt noch mal? Viel schlimmer kann’s ja nicht mehr werden. Der arme Junge«, sagte sie.
Ich hielt es für besser, ihr nicht zu sagen, daß ich ihn als Köder in einer Falle sah.
Unten im Büro läutete das Telefon. Dana begann eine Aufzählung von Brians Heimsuchungen, aber ich ertappte mich dabei, daß ich dem Gebabbel des Anrufbeantworters lauschte, das die Treppe heraufschallte. Nach dem Signalton meldete sich eine von Danas Kundinnen mit der neuesten Beschwerde. »Hallo, Dana. Hier spricht Ruth. Hören Sie, Bethany hat ein kleines Problem mit dem Partyservice, den Sie empfohlen haben. Wir haben die Frau jetzt zweimal um einen schriftlichen Kostenvoranschlag für den Empfang gebeten, aber sie rührt sich einfach nicht. Wir dachten, Sie könnten vielleicht mal bei ihr anrufen und ihr ein bißchen Feuer unter dem Hintern machen. Ich bin den ganzen Morgen hier. Sie können mich jederzeit zurückrufen, okay? Danke. Bis später. Tschüß.«
Es hätte mich interessiert, ob Dana diesen jungen Bräuten jemals erzählte, was für Probleme sie erwarteten, wenn die Hochzeit erst vorbei war: Langeweile, Gewichtszunahme, Verantwortungslosigkeit, Streitereien über Sex, Ausgaben, Familienurlaube und darüber, wer die Socken aufhebt. Vielleicht zeigte sich da nur meine zynische Natur, aber Kostenvoranschläge für den Hochzeitsempfang schienen trivial im Vergleich zu den ganz normalen Ehekonflikten.
»...wirklich hilfsbereit, großzügig und kooperativ. Er hat so ein einnehmendes Wesen und kann so komisch sein. Er ist hochintelligent.« Sie sprach von Brian, dem vermutlichen Killer. Nur eine Mutter kann einen Jungen, der gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen ist und wie ein Amokläufer um sich geballert hat, als >einnehmend und komisch< beschreiben. Sie sah mich erwartungsvoll an. »Ich muß hier weitermachen, damit ich mein Schlafzimmer wieder in Besitz nehmen kann. Haben Sie noch Fragen, ehe ich anfange zu saugen?«
Auf Anhieb fielen mir keine ein. »Danke, nein. Das wär’s fürs erste.«
Sie drückte auf den Schalter, und der Staubsauger erwachte jaulend zum Leben. In dem schrillen Geheul war jede weitere Unterhaltung unmöglich. Ich ging.
11
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Es war fast Mittag. Ich fuhr zum Gefängnis von Perdido County. Es befand sich in einem weitläufigen, 1978 erbauten Komplex, in dem außerdem die Justizbehörden und die Gemeindeverwaltung untergebracht waren. Ich stellte meinen Wagen auf einem der großen Parkplätze ab, die die Anlage umgeben, und trat durch die Glastür des Haupteingangs in das untere Foyer. Dort wandte ich mich nach rechts und ging durch einen kurzen Korridor zur Anmeldung des Gefängnisses.
Ich
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