Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
zusammen und griff sich automatisch ans Herz. »O Gott! Haben Sie mich erschreckt«, sagte sie.
»Sie haben telefoniert, und ich wollte Sie nicht stören. Ich habe die Geschichte mit Brian gehört. Darf ich hereinkommen?«
»Augenblick«, sagte sie, kam herüber und machte mir die Tür auf. »Ich mache mir entsetzliche Sorgen um ihn. Ich habe keine Ahnung, wohin er will, aber er muß sich stellen. Wenn er nicht bald wieder auftaucht, werden sie ihm Fluchtversuch vorwerfen. Eben war ein Deputy vom Sheriff hier und hat sich aufgeführt, als hätte ich Brian unter dem Bett versteckt. Er hat es zwar nicht direkt gesagt, aber Sie wissen ja, wie diese Leute sich gebärden, so amtsgewaltig und aufgeblasen.«
»Sie haben nichts von Brian gehört?«
Sie schüttelte den Kopf. »Und sein Anwalt auch nicht. Das ist kein gutes Zeichen«, sagte sie. »Brian muß seine rechtliche Position kennen.« Sie ging mir voraus ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa. Ich ließ mich auf der Armlehne auf der anderen Seite nieder.
Nur um ihre Reaktion zu sehen, sagte ich: »Wer war das eben am Telefon?«
»Wendells ehemaliger Geschäftspartner, Carl. Ich nehme an, er hat die Nachrichten gehört. Seit die Sache mit Brian publik geworden ist, steht mein Telefon nicht mehr still. Ich höre von Leuten, mit denen ich seit meiner Grundschulzeit kein Wort mehr gewechselt habe.«
»Halten Sie Verbindung mit ihm?«
»Er hält Verbindung mit mir, auch wenn wir nichts füreinander übrig haben. Ich fand immer, daß er einen ganz schlechten Einfluß auf meinen Mann hat.«
»Er hat dafür bezahlt«, sagte ich.
»Wir anderen vielleicht nicht?« versetzte sie scharf.
»Wie ist das nun mit Brians Entlassung? Weiß man inzwischen, wie er aus dem Gefängnis herausgekommen ist? Es ist wirklich schwer zu glauben, daß der Computer einen Fehler dieser Größenordnung gemacht haben soll.«
»Das ist Wendells Werk, da gibt es keinen Zweifel«, sagte sie.
Sie sah sich nach ihren Zigaretten um. Sie ging zum Schreibtisch und drückte den Stummel aus, den sie brennend im Aschenbecher liegen gelassen hatte. Dann nahm sie eine Packung Zigaretten und ein Feuerzeug und kam wieder zur Couch zurück. Sie machte Anstalten, sich eine Zigarette anzuzünden, tat es dann aber doch nicht. Ihre Hände zitterten stark.
»Wie sollte er an den Computer im Sheriff’s Department herankommen?«
»Ich habe keine Ahnung, aber Sie haben es ja selbst gesagt: Er ist Brians wegen nach Kalifornien zurückgekommen. Und jetzt, wo er da ist, ist Brian auf freiem Fuß. Wie erklären Sie sich das sonst?«
»Die Computer sind bestimmt hervorragend gesichert. Wie sollte er es schaffen, ohne Genehmigung eine Freilassungsanordnung über den Computer zu schicken?«
»Vielleicht ist er unter die Hacker gegangen«, versetzte sie sarkastisch.
»Haben Sie mit Michael gesprochen? Weiß er, daß Brian auf freiem Fuß ist?«
»Bei Michael habe ich zuallererst angerufen. Er war schon zur Arbeit gegangen, aber ich habe mit Juliet gesprochen und ihr richtig Angst eingejagt. Sie ist ganz vernarrt in Brian und hat keinen Funken Vernunft. Sie hat mir fest versprochen, mich sofort anzurufen, wenn sie von ihm hören sollten.«
»Und Ihr Mann? Kann der wissen, wo Michael jetzt zu erreichen ist?«
»Warum nicht? Er braucht ja nur die Auskunft anzurufen. Die neue Nummer ist eingetragen. Da gibt’s kein Geheimnis. Warum? Glauben Sie, Brian und mein Mann würden versuchen, sich bei Michael zu treffen?«
»Ich weiß es nicht. Halten Sie es für möglich?«
Sie überlegte einen Moment. »Ja, möglich ist es«, sagte sie dann. Sie schob ihre Hände zwischen ihre Knie, um ihr Zittern zu beruhigen.
»Ich gehe jetzt wohl besser«, sagte ich.
»Ich bleibe in der Nähe des Telefons. Wenn Sie etwas hören, melden Sie sich dann bei mir?«
»Natürlich.«
Von Dana aus fuhr ich zu den Perdido Keys. Meine Hauptsorge war in diesem Moment der Verbleib von Renatas Boot. Wenn Jaffe wirklich einen Weg gefunden hatte, Brian aus dem Gefängnis herauszuholen, würde er als nächstes versuchen, den Jungen außer Landes zu bringen.
Bei einem McDonald’s hielt ich an, um in der Zelle auf dem Parkplatz zu telefonieren. Ich wählte Renatas Nummer, aber ohne Erfolg. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt gegessen hatte, darum nutzte ich die Gelegenheit, da ich schon einmal hier war, um mir ein Mittagessen mitzunehmen: einen Viertelpfünder mit Käse, eine Cola und eine große Portion Pommes. Wenigstens
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