Kinsey Millhone 10 - Stille Wasser
heute zum Mittagessen treffen, aber als ich hinkam, hab’ ich nur einen Blick auf den Mann geworfen und gesehen, daß ich ihn aus Viento Negro kenne. Er wohnte im selben Hotel wie Wendell Jaffe.«
»Und was tat er da?«
»Genau das möchte ich rauskriegen«, sagte ich. »Ich halte nämlich nicht viel von Zufällen. Als ich sah, wer der Mann ist, habe ich die Verabredung sausen lassen und ihm telefonisch abgesagt. Die Verbindung ist also nicht abgerissen. Inzwischen habe ich einen Freund bei der Polizei gebeten, sich mal umzuhören, und er sagte mir, daß Brown einen Haufen Geld verloren hat, als Jaffes Schwindelgeschäfte aufflogen.«
»Hm«, sagte Mac.
»Er meinte, daß sich Brown und Dick Mills möglicherweise von früher kennen. Wenn Dick gewußt hat, daß Harris Brown ein persönliches Interesse an Jaffe hatte, hat er ihm vielleicht zur gleichen Zeit wie dir erzählt, daß er ihn in Mexiko gesehen hat.«
»Ich kann Dick ja mal fragen.«
»Würdest du das tun? Das wäre nett«, sagte ich. »Ich kenne ihn ja im Grunde gar nicht. Dir gegenüber wird er sicher eher offen sein.«
»Kein Problem. Ich mache das schon. Und was ist nun mit Jaffe? Hast du schon eine Spur aufgetan?«
»Ich bin auf dem besten Weg«, antwortete ich. »Ich weiß, wo Renata ist, und da wird er nicht weit sein.«
»Das Neueste von dem Jungen hast du wohl gehörst.«
»Brian? Nein, was denn?«
»Er ist frei. Im Gefängnis von Perdido County gab’s heute morgen eine Computerpanne. Brian Jaffe wurde auf freien Fuß gesetzt, und seitdem hat kein Mensch ihn mehr gesehen. Ich hab’s heute mittag im Radio gehört. Na, wie gefällt dir das?«
18
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Ich setzte mich wieder ins Auto. Allmählich kam es mir so vor, als sei dieses endlose Pendeln zwischen Santa Teresa und Perdido die wahre Definition der Hölle. Als ich in die Straße einbog, in der Dana Jaffe wohnte, sah ich vor ihrem Haus einen Wagen des Sheriff’s Department von Perdido County stehen. Ich parkte schräg gegenüber und behielt das Haus im Auge.
Ich hatte vielleicht zehn Minuten so gesessen, als ich Danas Nachbar, Jerry Irwin, entdeckte, der gerade vom Nachmittagsjogging zurückkehrte. Er lief auf den Fußballen, beinahe auf Zehenspitzen, in der gekrümmten Haltung, die mir bei meinem Besuch bei ihm schon aufgefallen war. Er hatte karierte Bermudashorts an und ein weißes T-Shirt, schwarze Socken und Joggingschuhe. Sein Gesicht war rot und sein graues Haar schweißverklebt. Er trat auf den letzten Metern seiner Runde noch einmal an und schloß sein Pensum mit einem kleinen Sprint ab. Er bewegte sich mit kleinen hüpfenden Trippelschritten, wie jemand, der über heißen Beton läuft. Ich beugte mich zur anderen Seite des Wagens hinüber und kurbelte das Fenster herunter.
»Hallo, Jerry! Wie geht’s? Ich bin’s, Kinsey Millhone.«
Keuchend beugte er sich vornüber, stützte die Hände auf seine knochigen Knie, während er nach Luft schnappte. Eine Schweißfahne wehte zum Fenster herein.
»Gut, danke.« Keuch, keuch. »Augenblick.« Niemals würde er wie ein echter Sportler aussehen. Er wirkte eher wie ein Mann, der gerade dem Tod von der Schippe gesprungen ist. Er stemmte die Hände in die Hüften, lehnte sich zurück und sagte: »Puuuh!« Er atmete immer noch schwer, aber wenigstens konnte er jetzt sprechen. Mit gerunzelter Stirn starrte er mich an. Seine Brillengläser begannen zu beschlagen.
»Ich wollte Sie sowieso anrufen. Ich habe gedacht, ich hätte vorhin Wendell hier gesehen.«
»Ach, wirklich?« sagte ich. »Steigen Sie doch einen Moment ein.« Ich beugte mich hinüber, öffnete die Verriegelung, und er machte die Tür auf und ließ sich auf den Sitz fallen.
»Ich bin natürlich nicht sicher, aber der Mann sah aus wie er. Da habe ich vorsichtshalber gleich die Polizei angerufen. Jetzt steht ein Wagen vom Sheriff drüben. Haben Sie’s gesehen?«
Ich warf einen Blick zu Danas Veranda. Sie war immer noch leer. »Ja, das habe ich schon gesehen. Sie haben das von Brian gehört?«
»Der Junge muß mit den Göttern im Bund sein«, meinte Jerry. »Glauben Sie, er wird nach Hause kommen?«
»Schwer zu sagen. Es wäre auf jeden Fall dumm — denn da sucht die Polizei ihn natürlich zuerst«, sagte ich. »Aber vielleicht hat er gar keine Wahl.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß seine Mutter das dulden würde.«
Wir spähten beide in der Hoffnung auf irgendwelche Aktivitäten zu Danas Haus: Schüsse, Vasen, die durchs Fenster flogen. Aber es passierte
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