Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
soll.«
»Das kann ich mir vorstellen. Und dann?«
»Ich bin in mein Auto gestiegen und ins Valley hinuntergefahren und habe etwas von ihren Ersparnissen abgehoben.«
»Wieviel?«
»Das weiß ich nicht mehr. Ziemlich viel, glaube ich.«
»Sie haben das Konto aufgelöst, stimmt’s?«
»Was sollte ich denn sonst tun?« sagte sie. »Ich dachte mir, wenn sie erst einmal wissen, daß sie tot ist, frieren sie ihre ganzen Konten ein wie bei meiner Großmutter. Und wozu soll das gut sein? Sie hatte versprochen, mir zu helfen. Ich meine, es war ja nicht so, daß sie meine Bitte abgelehnt hätte oder so. Sie wollte mir das Geld geben.«
»Was ist mit ihrer Unterschrift? Wie haben Sie die hingekriegt?«
»Wir schreiben sowieso gleich, weil ich es ihr selbst beigebracht habe, bevor sie in den Kindergarten kam. Sie hat immer meine Handschrift nachgemacht, deshalb war es nicht so schwierig, ihre zu imitieren.«
»Mußten Sie keinen Ausweis vorlegen?«
»Natürlich, aber wir sehen uns ähnlich genug. Mein Gesicht ist voller, aber das ist in etwa der einzige Unterschied. Die Haarfarbe, na ja, aber die wechseln doch alle. Als später die Meldung in der Zeitung stand, schien niemand einen Zusammenhang herzustellen. Ich glaube, dort unten war nicht einmal ein Foto von ihr in der Zeitung.«
»Was war mit der Bank? Hat man ihr denn keine Bestätigung der Kontoauflösung zugeschickt?«
»Sicher, aber die ganze Post bekomme zuerst ich in die Hände. Alles, was von dieser Bank kam, habe ich aussortiert und gleich weggeworfen.«
»Tja, fast alles«, sagte ich. »Und dann?«
»Das ist alles.«
»Was war mit den Ohrringen?«
»Ach ja. Das hätte ich vermutlich nicht tun sollen.« Sie zog eine Miene, mit der sie Reue und andere tiefe Gefühlsregungen zum Ausdruck bringen wollte. »Ich hatte schon vor, den Rest wieder zurückzubringen.«
»Wohin zurück?«
»Wir haben immer noch einiges von ihren Kleidern und so. Ich dachte, ich könnte den Schmuck in eine alte Handtasche stecken, weil sie ihn selbst auch so aufbewahrt hat. In die Tasche ihres Wintermantels oder so, und ihn dann entdecken, verstehen Sie, und ganz erstaunt tun.«
»Das wäre jedenfalls eine Möglichkeit«, sagte ich. Mir fehlte noch etwas, aber ich wußte nicht genau, was. »Könnten wir vielleicht kurz noch einmal auf das Geld zurückkommen. Nachdem Sie von Simi zurückgefahren waren, hatten Sie doch neben dem Geld immer noch Lornas Führerschein. Ich wüßte gerne, was Sie als nächstes getan haben. Nur um mir ein Bild zu machen.«
»Ich verstehe nicht ganz. Was meinen Sie denn?«
»Nun, Lornas Führerschein stand auf der Liste, die die Polizei erstellt hat, also müssen Sie ihn zurückgebracht haben.«
»Oh, natürlich. Ich habe den Führerschein wieder dorthin zurückgebracht, wo er war. Ja, genau.«
»Mhm. In ihre Brieftasche oder wohin?«
»Richtig. Dann fiel mir ein, daß ich es besser so aussehen lassen sollte, als hätte sie das Konto selbst aufgelöst, wissen Sie, als hätte sie Geld abgehoben, bevor sie verreist ist.«
»Soweit kann ich Ihnen folgen«, sagte ich vorsichtig.
»Tja, alle dachten, sie wäre bereits weggefahren, also mußte ich lediglich den Eindruck erwecken, sie hätte den ganzen Freitag noch gelebt.«
»Moment mal. Ich dachte, das sei am Samstag gewesen. Das ist alles am Freitag passiert?«
»Es mußte doch am Freitag sein. Die Bank hat ja samstags überhaupt nicht geöffnet und das Reisebüro auch nicht.«
Mir blieb zwar nicht wirklich der Mund offen stehen, aber ich hatte das Gefühl, als sei mir die Kinnlade nach unten weggeklappt. Ich wandte mich zur Seite, um ihr direkt ins Gesicht zu sehen, aber Berlyn schien es nicht zu bemerken. Sie war ganz in ihre Erzählung vertieft und rechnete offensichtlich nicht mit meinem verblüfften Blick. Sie war wirklich eine erstaunliche Mischung aus Schläue und Dummheit und außerdem viel zu alt, um so ahnungslos zu sein.
»Ich bin nach Hause gegangen. Ich war echt furchtbar durcheinander, deshalb habe ich Mom gesagt, ich hätte Unterleibskrämpfe und bin ins Bett gegangen. Am Samstag nachmittag bin ich wieder zu ihrer Hütte gefahren und habe die Post mitsamt der Morgenzeitung hereingeholt. Ich habe nichts Schlimmes daran gesehen. Ich meine, tot ist tot, also was macht es schon?«
»Was haben Sie mit dem Sparbuch gemacht?«
»Es behalten. Ich wollte nicht, daß irgend jemand merkt, daß das Geld weg war.«
»Und dann haben Sie einen Monat abgewartet und ein paar Sparkonten
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