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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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angeblich zu ihren Gewohnheiten, kurz nach dem Aufstehen zu joggen. Soweit es die Ermittlungsbeamten noch feststellen konnten, hatte sie wie gewöhnlich am Samstag, dem 21. April, ausgeschlafen. Dann hatte sie ihren Jogginganzug angezogen und war laufen gegangen. Die Zeitung vom Samstagmorgen befand sich in der Wohnung, ebenso die Post, die später am Vormittag gekommen war. Sämtliche Post sowie Zeitungen, die nach dem 21. eingetroffen waren, stapelten sich unberührt. Beiläufig fragte ich mich, warum sie nicht wie geplant am Donnerstag abend zu ihrer Reise aufgebrochen war. Vielleicht hatte sie noch die ganze Woche bis einschließlich Freitag gearbeitet und wollte am Samstag vormittag aufbrechen, nachdem sie sich geduscht und angezogen hatte.
    Die Fragen waren offenkundig, aber es war nutzlos, ohne konkrete Anhaltspunkte zu spekulieren. Da die Todesursache unbekannt war, hatte die Polizei anhand der Annahme ermittelt, daß sie von einer oder mehreren unbekannten Personen niedergeschlagen worden war. Lorna hatte allein und ungewöhnlich isoliert gelebt. Falls sie um Hilfe gerufen hatte, so war niemand in Hörweite gewesen. Ich lebe selbst allein, und obwohl Henry Pitts direkt neben mir wohnt, fühle ich mich manchmal unsicher. Meine Arbeit bringt gewisse Gefahren mit sich. Ich bin schon mehrmals angeschossen, niedergeschlagen, verprügelt und beschimpft worden, aber meistens habe ich Mittel und Wege gefunden, meine Angreifer auszuschalten. Der Gedanke an Lornas letzte Momente behagte mir nicht.
    Der Ermittlungsbeamte, der die ganze Kleinarbeit erledigt hatte, war ein Mann namens Cheney Phillips, der mir ab und zu über den Weg lief. Zuletzt hatte ich von ihm gehört, daß er von der Mordkommission ins Sittendezernat übergewechselt war. Ich weiß nicht genau, wie die Polizeibehörden in anderen Städten arbeiten, aber bei der Polizei von Santa Teresa ist es üblich, daß die Beamten alle zwei oder drei Jahre auf einen anderen Posten versetzt und mit den verschiedensten Aufgaben betraut werden. Das gewährleistet nicht nur eine ausgewogene Polizeitruppe, sondern ermöglicht auch Beförderungen, ohne daß die Beamten auf den Tod oder die Pensionierung von Kollegen warten mußten, die bestimmte Abteilungsposten blockierten.
    Wie viele Polizisten unserer Stadt konnte man auch Phillips oft in einer Kneipe namens CC’s finden, in der Strafverteidiger und eine Reihe von Kriminalbeamten Stammgäste waren. Sein Vorgesetzter im Fall Lorna war Lieutenant Con Dolan gewesen, den ich sehr gut kannte. Ich zweifelte daran, daß Lornas Mitwirkung in einem drittklassigen Film etwas mit ihrem Tod zu tun hatte. Andererseits war mir aber auch klar, warum Janice Kepler das gern glauben wollte. Was soll man auch sonst denken, wenn sich herausstellt, daß die verstorbene Lieblingstochter ein Pornostar gewesen ist?
    Ich war unruhig, ja fast überreizt durch eine Überdosis Koffein. Im Lauf des Tages hatte ich schätzungsweise acht bis zehn Tassen Kaffee getrunken, die letzten beiden davon während meiner Unterredung mit Janice. Nun tanzten mir die aufputschenden Stoffe wie Seifenblasen im Kopf herum. Manchmal haben Unruhe und Koffein die gleiche Wirkung.
    Ich sah erneut auf die Uhr. Inzwischen war es nach Mitternacht, und ich sollte eigentlich schon längst im Bett liegen. Ich zog das Telefonbuch heraus und suchte die Nummer von CC’s. Der Anruf kostete mich nicht einmal fünfzehn Sekunden. Der Barkeeper sagte mir, daß Cheney Phillips im Lokal sei. Ich nannte ihm meinen Namen und bat ihn, Cheney auszurichten, daß ich unterwegs sei. Beim Auflegen hörte ich noch, wie er Cheney über das Kneipengetöse hinweg meine Nachricht zurief. Ich griff mir Jacke und Schlüssel und verließ das Haus.

3

    Ich fuhr in östlicher Richtung den Cabana hinab, einen breiten Boulevard, der am Strand entlang verläuft. Bei Vollmond ähnelt die Szenerie Filmaufnahmen, die, bei Tag gedreht, Nacht simulieren. Die Landschaft ist dann so stark beleuchtet, daß die Bäume richtige Schatten werfen. Heute befand sich der Mond im letzten Viertel und stand noch tief am Himmel. Von der Straße aus konnte ich das Meer nicht sehen, aber ich hörte das endlose Rollen der Wellen, die die Flut herantrugen. Der Wind war gerade stark genug, um die Palmen in leichte Bewegung zu versetzen, und ihre struppigen Häupter neigten sich wie in einer Art geheimem Gespräch einander zu. Ein Auto fuhr in entgegengesetzter Richtung an mir vorüber, jedoch waren keine Fußgänger zu

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