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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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sehen. Zu so später Stunde bin ich selten unterwegs, und ich empfand es als merkwürdig belebend.
    Am Tag sieht Santa Teresa aus wie jede andere südkalifornische Kleinstadt. Kirchen und Geschäfte klammern sich — stets von Erdbeben bedroht — an den Boden. Die Dächer sind niedrig, und die Architektur ist in erster Linie spanisch beeinflußt. Die weißen Fassaden und die roten Ziegeldächer haben etwas Solides und Beruhigendes an sich. Die Rasenflächen sind gepflegt und die Sträucher sorgfältig zurechtgeschoren. Nachts wirken all diese Merkmale grell und dramatisch, voller Schwarzweißkontraste, die die Silhouetten intensiv zur Geltung bringen. Der Nachthimmel ist in Wirklichkeit überhaupt nicht schwarz. Er ist von einem weichen Anthrazitgrau, das durch die vielen Lichtquellen beinahe kalkig wirkt, während die Bäume wie Tintenflecken auf einem nachgedunkelten Teppich aussehen. Sogar der Wind fühlt sich anders an, leicht wie eine Daunendecke auf blanker Haut.
    Das CC’s heißt eigentlich Caliente Café und ist ein billig verpachtetes Lokal in einer ehemaligen Tankstelle nahe der Eisenbahngleise. Die alten Zapfsäulen und Treibstofflager darunter sind schon vor Jahren entfernt und der verseuchte Boden mit einer Asphaltschicht bedeckt worden. Nun beginnt die schwarze Oberfläche an heißen Tagen aufzuweichen, und ein giftiger Sirup sickert heraus, eine teerartige Flüssigkeit, die sich rasch in Rauchschwaden verflüchtigt und den Anschein erweckt, als stünde der Belag kurz davor, in Flammen aufzugehen. Im Winter bekommt der Asphalt von der trockenen Kälte Risse, und ein schwefliger Geruch weht über den Parkplatz. CC’s ist nicht der ideale Ort zum Barfußlaufen.
    Ich parkte vor dem Lokal unter einem sirrenden roten Neonschild. Draußen roch die Luft nach in Schmalz gebackenen Maistortillas, drinnen nach Salsa und gequirltem Zigarettenrauch. Ich hörte das hohe Jaulen eines Mixers, der schon zu lange lief und Eis und Tequila für die Margaritas rührte. Das Caliente Café nennt sich selbst eine »authentische« mexikanische Cantina, was heißt, daß die »Deko« aus über die Türen genagelten mexikanischen Sombreros besteht. Schlechte Beleuchtung macht jeglichen weiteren Aufwand überflüssig. Alle Gerichte wurden dem amerikanischen Geschmack angeglichen und tragen niedliche Namen wie: Ensañada Ensalada, Pasta Pequeño, Linguini Bambini. Die Musik, ausschließlich aus der Konserve, ist meistens so laut wie eine Mariachi-Gruppe, die angeheuert wurde, damit sie sich um den Tisch schart, während man zu essen versucht.
    Cheney Phillips saß an der Bar und blickte in meine Richtung. Meine Bitte um eine Unterredung hatte ihn zweifellos neugierig gemacht. Cheney war vermutlich Anfang Dreißig. Er war weiß und besaß einen zerzausten Wust dunkelbraunen, lockigen Haars, dunkle Augen, ein markantes Kinn und einen stacheligen Zweitagebart. Er hatte die Art von Gesicht, wie man sie in einem Modemagazin für Männer findet oder auf der Klatschseite der Lokalzeitung an der Seite einer wie eine Braut herausgeputzten Debütantin. Er war schlank und mittelgroß und trug ein tabakbraunes, seidenes Sportsakko über einem weißen Hemd, dazu cremefarbene Gabardinehosen mit Bügelfalte. Seine selbstsichere Ausstrahlung ließ auf Geld mit einschüchterndem Hintergrund schließen. Alles an ihm roch nach Wertpapieren, Privatschulen und lässigem Westküstenadel. Das ist natürlich reine Projektion von meiner Seite, und ich habe keine Ahnung, ob es stimmt. Ich habe ihn nie gefragt, wie er eigentlich dazu kam, Polizist zu werden. Nach allem, was ich weiß, könnte er ebenso Kriminalbeamter in der dritten Generation sein, während sämtliche Frauen in der Familie als Gefängniswärterinnen arbeiten.
    Ich ließ mich auf den Barhocker neben ihm gleiten. »Hallo, Cheney. Wie geht’s? Danke, daß du gewartet hast. Nett von dir.«
    Er zuckte die Achseln. »Ich bin sowieso meistens hier, bis sie schließen. Kann ich dich auf einen Drink einladen?«
    »Gern. Ich bin von Kaffee dermaßen aufgeputscht, daß ich womöglich nie mehr einschlafe.«
    »Was möchtest du?«
    »Chardonnay, wenn’s recht ist.«
    »Kein Problem«, sagte er. Er lächelte und enthüllte dabei erstklassige kieferorthopädische Arbeit. Niemand konnte ohne langwierige, teure Korrekturen derart gerade Zähne besitzen. Cheney gab sich meist als Verführer, und das erst recht in einer Umgebung wie dieser.
    Der Barkeeper hatte unseren Wortwechsel mit übertriebener,

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