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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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ich versucht, den Mund zu halten. Es ging mich nichts an, aber ich wurde immer wieder hineingezogen. Andauernd sagte ich: >Warum, Baby? Wozu?< Und sie schüttelte den Kopf. >Sei froh, wenn du’s nicht weißt, Heck. Ich schwöre, es hat nichts mit dir zu tun.« In Wirklichkeit glaube ich, daß sie es nicht wußte. Es war ein Zwang — wie niesen. Es war ein gutes Gefühl, es zu tun. Wenn sie es unterdrückte, kitzelte es sie, bis sie fast verrückt wurde.«
    »Wissen Sie, wer außer Ihnen in ihrem Leben eine Rolle spielte?«
    »Ich habe keine Rolle in ihrem Leben gespielt. Ich war eine Randfigur. Außer hier. Sie hatte einen Tagesjob, Teilzeit in der Wasseraufbereitungsanlage. Sie könnten mit denen reden, vielleicht können die Ihnen etwas sagen. Meistens habe ich sie vor drei Uhr morgens überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Womöglich hat sie ein völlig anderes Leben geführt, während die Sonne schien.«
    »Ah ja. Stoff zum Nachdenken«, sagte ich. »Noch etwas, das ich wissen sollte?«
    »Nichts, was mir spontan einfiele. Wenn ich auf etwas komme, kann ich mich ja bei Ihnen melden. Haben Sie eine Karte?«
    Ich fischte eine heraus und legte sie auf das Mischpult. Er betrachtete sie kurz und ließ sie liegen, wo sie war.
    »Danke für Ihre Zeit«, sagte ich.
    »Hoffentlich habe ich Ihnen weiterhelfen können. Ich finde die Vorstellung entsetzlich, daß jemand ungestraft mit Mord davonkommt.«
    »Es ist zumindest ein Anfang. Vielleicht komme ich irgendwann noch einmal.« Ich zögerte und sah die Hündin an, die immer noch zwischen uns lag. Sowie sie meinen Blick auf sich spürte, erhob sie sich, womit sich ihr Kopf auf gleicher Höhe mit dem Hocker befand, auf dem ich saß. Sie hielt den Blick unverwandt geradeaus gerichtet und starrte konzentriert auf das Fleisch auf meinen Hüften, womöglich in der Hoffnung auf einen kleinen Mitternachtsimbiß.
    »Beauty«, murmelte er in fast unverändertem Tonfall.
    Sie ließ sich auf den Boden sinken, aber ich wußte genau, daß ihr der Sinn immer noch nach einem Happen Glutaeus maximus stand.
    »Nächstes Mal bringe ich ihr einen Knochen mit«, sagte ich. Vorzugsweise keinen von mir.
    Ich fuhr durchs Geschäftsviertel nach Hause, an einer Reihe von Ampeln vorbei, die gerade von rot auf grün umschalteten und passierte einen schwarzgekleideten Fahrradfahrer. Inzwischen war es fast halb zwei Uhr morgens, Verkehr war kaum noch vorhanden, und die Kreuzungen wirkten weit und verlassen. Die meisten Bars in der Stadt hatten noch geöffnet, und in ungefähr einer halben Stunde würden die Betrunkenen herauswanken und sich auf den Weg zu den verschiedenen Parkhäusern der Innenstadt machen. Viele Gebäude lagen im Dunkeln. Obdachlose, im Schlaf zusammengekrümmt, blockierten die Eingänge wie umgestürzte Statuen. Für sie ist die Nacht wie ein riesiges Hotel, wo immer ein Zimmer frei ist. Der einzige Preis, den sie manchmal dafür bezahlen, ist ihr Leben.
    Um Viertel vor zwei schälte ich mich endlich aus meinen Jeans, putzte mir die Zähne und machte das Licht aus. Dann kroch ich ins Bett, ohne mir noch die Mühe zu machen, T-Shirt, Unterhose und Socken auszuziehen. Diese Februarnächte waren zu kalt, um nackt zu schlafen. Als ich langsam in die Bewußtlosigkeit glitt, spielten sich vor meinem geistigen Auge immer wieder bestimmte Ausschnitte aus Lornas Film ab. Ach ja, das Leben einer alleinstehenden Frau in einer Welt, die von Geschlechtskrankheiten beherrscht wird. Ich lag da und versuchte, mich daran zu erinnern, wann ich zum letzten Mal Sex gehabt hatte. Ich wußte es nicht mehr, was Anlaß zu ernsthafter Besorgnis gab. Ich schlief ein und fragte mich, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Gedächtnisschwund und Enthaltsamkeit bestand. Offensichtlich, denn das war für die nächsten vier Stunden mein letzter bewußter Gedanke.
    Als um sechs Uhr der Wecker klingelte, rollte ich mich aus dem Bett, bevor sich Widerstand regen konnte. Ich zog meinen Jogginganzug und die Laufschuhe an und ging ins Badezimmer, wo ich mir die Zähne putzte und es tunlichst vermied, in den Spiegel zu sehen. Ein unbedachter Blick hatte mir ein schlaftrunkenes Gesicht vorgeführt, eingerahmt von Haaren, die so steif und verfilzt waren wie die eines Penners. Ich hatte sie vor einem halben Jahr mit einer zuverlässigen, kleinen Nagelschere gestutzt, aber seither nicht mehr viel damit angestellt. Nun waren die Partien, die nicht nach oben abstanden, entweder platt oder völlig durcheinander. Ich

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