Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Herrenhemd darüber vom Flur herein. Mace stellte auch uns einander vor, und wir tauschten unverbindliche Floskeln à la »Hallo, wie geht’s?« aus. Sie ging quer durch die Küche und war intensiv damit beschäftigt, ihre Ärmel hochzukrempeln. Neben Trinny blieb sie stehen und hielt ihr bittend den Arm hin. Trinny wischte sich die Hände ab und begann, Berlyns Ärmel aufzurollen.
Auf den ersten Blick konnte man sie irrtümlich für Zwillinge haken. Sie schienen nach ihrem Vater zu schlagen, waren groß und vollbusig und hatten schwere Beine und Schenkel. Berlyn hatte blond gefärbte Haare und große, von dunklen Wimpern eingerahmte Augen. Ihr Teint war makellos und blaß, und sie hatte breite, sinnliche Lippen, die sie mit einem glänzenden, leuchtend-pinkfarbenen Lippenstift bemalt hatte. Trinny war bei ihrer natürlichen Haarfarbe geblieben, einem satten Karamelbraun — vermutlich derselbe Farbton, mit dem auch Berlyn zur Welt gekommen war. Beide besaßen leuchtendblaue Augen und dunkle Brauen. Berlyns Züge waren grober, aber vielleicht war es auch das gebleichte Haar, das sie ein wenig gewöhnlich wirken ließ. Hätte nicht Lornas fragile Schönheit einen Kontrast innerhalb der Familie gebildet, hätte ich gesagt, daß sie auf etwas vulgäre Art hübsch waren. Obwohl ich von Lornas zahlreichen Männerkontakten wußte, schien sie eine gewisse Klasse besessen zu haben, die den beiden anderen fehlte.
Berlyn ging zum Kühlschrank hinüber und holte sich eine Diät-pepsi heraus. Sie riß die Dose auf und spazierte zur Hintertür hinaus auf eine hölzerne Veranda, die an der Rückseite des Hauses verlief. Durchs Fenster sah ich ihr dabei zu, wie sie es sich auf einer Liege aus geflochtenen Plastikstreifen bequem machte. Eigentlich war es zu kalt, um draußen zu sitzen. Ihr Blick streifte kurz meinen, bevor sie wegsah.
Mit dem Bier in der Hand ging Mace durch die Küche ins Fernsehzimmer und bedeutete mir, ihm zu folgen. Als er die Tür hinter uns schloß, stieg mir der chemische Geruch des Schokoladenkuchens aus dem Backofen in die Nase.
5
Das Fernsehzimmer war ans Haus angegliedert worden, indem man die eine Hälfte der Doppelgarage umgebaut hatte. Über den ursprünglichen Beton war Estrich gekommen, und darüber hatte man Nut- und Federbretter aus Eiche verlegt. Trotz eines großen Teppichs roch der Raum nach Motorenöl und alten Autoteilen. Eine Bettcouch, ein Couchtisch, vier Stühle, ein Sofa und ein Rollwagen für den Fernseher waren im Zimmer verteilt. In einer Ecke standen ein Aktenschrank und ein Schreibtisch, auf dem sich Papiere stapelten. Das gesamte Mobiliar sah aus, als stammte es vom Flohmarkt: Stoffe, die nicht zusammenpaßten, und abgenutzte Polster — was andere wegwarfen, durfte hier sein Leben fristen.
Mace ließ sich auf einen abgewetzten, braunen Fernsehsessel sinken und betätigte den Mechanismus, der die Fußstütze freigab. Er griff nach der Fernbedienung, schaltete den Ton aus und zappte sich dann durch mehrere Kanäle, bis er einen fand, auf dem gerade ein Basketballspiel im Gange war. Lautlos hüpften die Jungs auf dem Spielfeld auf und ab, sprangen hoch, fielen hin und stießen einander in die Seite. Wäre der Ton aufgedreht gewesen, hätte ich mit Sicherheit das schrille Quietschen der Gummisohlen auf dem Hartholzboden gehört. Der Ball flog wie magnetisiert ins Netz und berührte nicht einmal bei jedem zweiten Korb den Rand.
Ohne gebeten worden zu sein, hockte ich mich auf das Sofa neben ihn und drehte mich so, daß ich mich in seinem Blickfeld befand. »Ich nehme an, Janice hat Ihnen von unserem Gespräch gestern abend erzählt.« Ich stellte mich darauf ein, beruhigende Phrasen über Lornas Mitwirken in dem Pornofilm von mir zu geben. Mace reagierte nicht. Eine Werbung für Fast Food unterbrach das Spiel, und ein Hamburger im Format 40 x 50 erschien in voller Farbenpracht auf dem Bildschirm. Die Sesamsamen waren so groß wie Reiskörner, und eine Scheibe leuchtendorangefarbener Käse tropfte einladend von den Seiten des Brötchens herunter. Ich sah, wie Mace gebannt auf das Bild starrte. Ich hatte ja schon immer gewußt, daß ich nicht so anziehend bin wie eine Scheibe auf offenem Feuer gegrilltes Rindersteak, aber es war dennoch ernüchternd zu sehen, wie wenig Aufmerksamkeit er mir widmete. Ich reckte den Kopf nach links und kam damit in sein Blickfeld.
»Sie hat mir gesagt, daß sie Sie engagieren will, damit Sie Lornas Tod untersuchen«, sagte er, als hätte ihm
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