Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
jemand aus den Kulissen ein Stichwort zugerufen.
»Was halten Sie davon?«
Er begann auf die Armlehne seines Sessels zu klopfen. »Ist Sache von Janice«, sagte er. »Ich möchte nicht ungehobelt klingen, aber in dieser Angelegenheit sind wir geteilter Meinung. Sie glaubt, Lorna sei ermordet worden, aber ich bin davon nicht überzeugt. Es hätte auch ausströmendes Gas sein können. Oder Kohlenmonoxidvergiftung von einem schadhaften Ofen.« Er hatte eine wuchtige Stimme und wuchtige Hände.
»Lorna hatte einen Ofen in ihrer Hütte? Ich dachte, ihre Behausung war ziemlich primitiv.«
Ein Anflug von Ungeduld huschte über sein Gesicht. »Das macht Janice auch. Sie nimmt alles wörtlich. Ich gebe ja bloß ein Beispiel. Jedes Stück in dieser Hütte war entweder alt oder kaputt. Wenn Sie einen defekten Heizkörper haben, können Sie eine Menge Schwierigkeiten kriegen. Das wollte ich damit sagen. Ich sehe so was andauernd. Mein Gott, schließlich lebe ich davon.«
»Ich nehme an, die Polizei hat die Möglichkeit, daß Gas ausströmte, überprüft.«
Er schüttelte diese Bemerkung ab und zog eine seiner fleischigen Schultern nach vorn, während er seinen steifen Hals nach allen Seiten reckte. »Ich habe mir den Rücken gestoßen, als ich versucht habe, ein Rohr aus einer Betonwand zu reißen«, erklärte er. »Ich weiß nicht, was die Polizei gemacht hat. Offen gestanden finde ich, daß man die ganze Sache ruhen lassen sollte. Es kommt mir so vor, als wäre diese ganze Grübelei von wegen Mord nur eine andere Methode, um die Angelegenheit weiter diskutieren zu können. Ich habe meine Tochter geliebt. Sie war beinahe so makellos, wie man es sich nur wünschen kann. Sie war ein schönes, liebes Mädchen, aber nun ist sie tot, und daran läßt sich nichts mehr ändern. Wir haben noch zwei lebende Töchter, und wir müssen zur Abwechslung mal ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken. Wenn man anfängt, Anwälte und Detektive zu engagieren, bringt einem das zusätzlich zu dem Schmerz nur einen Haufen unnötige Kosten ein.«
Ich merkte, wie sich mein inneres Ohr aufstellte. Keine Wut, kein Protest, überhaupt keine Bezugnahme auf das ganze Geschlecke und Gesäuge? In meinen Augen war Lornas obszönes Benehmen alles andere als »beinahe makellos«, vielmehr rückte es sie eher in die Nähe von »zügellos«. Daß sie ungebärdig war, machte sie nicht zu einem schlechten Menschen, aber das Wort lieb wäre mir nicht gerade in den Sinn gekommen. Ich sagte: »Vielleicht müssen Sie und Janice noch einmal über das Ganze sprechen. Ich habe ihr gestern abend gesagt, daß Sie sich einig sein müßten.«
»Tja, wir sind uns jedenfalls nicht einig. Ich finde, daß meine Frau ein bißchen spinnt, aber wenn es das ist, was sie will, bin ich bereit mitzuziehen. Wir müssen alle auf unsere Art damit fertig werden. Wenn es sie froh macht, will ich ihr nicht im Weg stehen, aber das heißt nicht, daß ich mit ihr in dieser Sache einig bin.«
O weh. Wenn der Mann erst einmal die Rechnung für meine Dienste sah... Diese Auseinandersetzung wollte ich nicht miterleben. »Was ist mit Trinny und Berlyn? Haben Sie mit ihnen darüber gesprochen?«
»Das geht die beiden nichts an. Die Entscheidungen treffen Janice und ich. Die Mädchen wohnen zwar zu Hause, aber wir sind diejenigen, die die Rechnungen bezahlen.«
»Was ich eigentlich gemeint habe, ist, wie sie mit Lornas Tod zurechtkommen.«
»Oh. Darüber reden wir eigentlich kaum. Das müßten Sie sie selbst fragen. Ich versuche, über die Sache hinwegzukommen, anstatt alles immer wieder aufzuwühlen.«
»Manche Menschen finden es hilfreich, über so etwas zu sprechen. So verarbeiten sie das, was sie erlebt haben.«
»Ich hoffe, ich klinge nicht wie ein alter Muffel, was dieses Thema angeht, aber bei mir ist es genau umgekehrt. Ich möchte es lieber fallenlassen und mein Leben weiterleben.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mit den beiden spreche?«
»Für mich ist das eine Angelegenheit zwischen Ihnen und den beiden. Sie sind erwachsen. Solange es ihnen recht ist, können Sie soviel reden, wie Sie wollen.«
»Vielleicht erwische ich sie noch, bevor ich gehe. Wir müssen ja nicht unbedingt heute sprechen, aber ich würde die beiden gern bald befragen. Es ist ja ohne weiteres möglich, daß Lorna ihnen etwas anvertraut hat, das sich als wichtig erweisen könnte.«
»Das bezweifle ich, aber Sie können ruhig fragen.«
»Wann arbeiten sie?«
»Berl sitzt zwischen acht und fünf Uhr
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