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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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den Eindruck, als würde er einen an Stellen zwicken, die einem lieb und teuer waren. Das Waschbecken war so groß wie eine Spüle und stand auf zwei Metallfüßen. Ich drehte am Kaltwasserhahn und sprang mit einem Schreckensschrei zurück, als ein Strahl braunes Wasser hervorsprudelte. Die Wasserrohre stimmten ein tiefes, summendes Geräusch an, unterirdische Sirenen, die vor unerlaubten Übergriffen warnten. Die Badewanne ruhte auf zwei kugelförmigen Füßen. Welke Blätter hatten sich in einem wirbelnden Muster um ihren Abfluß herum angesammelt, während schwarze Schwäne über einen undurchsichtigen grünen Duschvorhang aus Plastik glitten, der von einem ovalen Metallrahmen herabhing.
    Trotz der fehlenden Möbel im großen Zimmer konnte ich mir vorstellen, wie der Raum aufgeteilt gewesen war. Nahe bei der Eingangstür ließen Kerben in den Kiefernbrettern erahnen, daß dort ein Sofa und zwei Sessel gestanden hatten. Am anderen Ende des Wohnzimmers, an der Ecke zur Küche, konnte ich mir eine kleine Eßecke vorstellen. Neben der Spüle hatte wohl ein kleines Wandschränkchen gestanden. Über der Fußleiste war die Telefonbuchse angebracht. Lorna hatte vermutlich ein schnurloses Telefon oder eins mit langem Kabel besessen und konnte es tagsüber in der Küche stehenlassen und nachts neben das Bett stellen. Ich drehte mich um und betrachtete den Raum. Die Schatten um mich herum verdüsterten sich, und die durch mein Eindringen aufgestörten Weberknechte begannen, die Wände hinunterzukrabbeln. Ich schlich mich aus der Hütte und behielt sie dabei genau im Auge.

    Ich saß allein in meiner Lieblingsnische in Rosie’s Restaurant, einen halben Häuserblock von meiner Wohnung entfernt, und stocherte in meinem Abendessen herum. Wie üblich hatte Rosie mich dazu gebracht, das zu bestellen, was sie anordnete. Es ist ein Phänomen, über das ich mich nicht ernsthaft beschweren will. Über den Viertelpfünder mit Käse von McDonald’s hinaus habe ich in puncto Essen keine besonderen Vorlieben, und insofern ist es mir ganz recht, wenn mich jemand durch die Speisekarte führt. Heute abend empfahl sie die Kümmelsuppe mit Knödeln, danach geschmortes Schweinefleisch, ein weiteres ungarisches Gericht mit Fleischstücken, die von saurer Sahne und Paprika erdrückt wurden. Rosie’s ist weniger ein Restaurant als vielmehr eine stickige Kneipe, in der Rosie ganz nach Lust und Laune ausgefallene Gerichte zaubert. In ihrem Lokal hat man ständig das Gefühl, als stünde eine Razzia der Lebensmittelpolizei unmittelbar bevor, so knapp bewegt es sich neben den meisten gesetzlichen Hygienevorschriften. Die Luft ist geschwängert von ungarischen Gewürzen, Bier und Zigarettenrauch. Die Plätze in der Mitte des Raumes bestehen aus diesen Chrom-Resopal-Eßecken, die noch aus den vierziger Jahren übriggeblieben sind. Die Wände sind von Nischen gesäumt: steife Bänke mit hohen Lehnen, die aus Sperrholz gezimmert waren, das sich als Baumaterial geeignet hätte und dunkelbraun gebeizt war, damit man die ganzen Astlöcher und Splitter nicht sah.
    Es war noch vor sieben Uhr, und bisher war keiner der üblichen Sportfans aufgetaucht. An den meisten Abenden, vor allem in den Sommermonaten, ist das Lokal voll von lärmenden Kegelclubs und Softballmannschaften in Firmentrikots. Im Winter müssen sie improvisieren. Erst diese Woche hatte eine Gruppe Nachtschwärmer ein Spiel namens »Wirf den Männertanga« erfunden, und ein glückloses Exemplar dieses nützlichen Kleidungsstücks baumelte nun vom Stachel eines staubigen Rochens über der Bar. Rosie, die sonst herrisch und humorlos ist, schien das witzig zu finden und ließ es, wo es war. Offenbar hatte ihre bevorstehende Eheschließung ihren IQ um einige ausschlaggebende Punkte gesenkt. Momentan kauerte sie auf einem Barhocker und überflog die Lokalzeitung, während sie eine Zigarette rauchte. Am einen Ende der Bar plärrte ein kleiner Farbfernseher, aber keine von uns schenkte der Sendung große Beachtung. Rosies geliebter William, Henrys älterer Bruder, war mit diesem nach Michigan geflogen. Rosie und William wollten in einem Monat heiraten, obwohl das Datum immer noch zu schwanken schien.
    Das Telefon, das an unserem Ende der Bar stand, klingelte. Rosie warf ihm einen verärgerten Blick zu, und zuerst dachte ich schon, sie würde gar nicht abnehmen. Sie ließ sich jedenfalls Zeit und faltete die Zeitung ordentlich zusammen, bevor sie sie beiseite legte. Beim sechsten Klingeln nahm sie

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