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Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht

Titel: Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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in alle Richtungen und erschwerten die Durchfahrt. Sicher hat mein Auto schon bessere Tage gesehen, aber es behagte mir trotzdem nicht, daß die Äste gegen den blaßblauen Lack schnellten. Die Schlaglöcher traktierten meine Stoßdämpfer bereits wie im Härtetest.
    Ich gelangte auf eine Lichtung, wo in der Finsternis schemenhaft eine primitive Hütte zu erkennen war. Ich wendete den Wagen und parkte ihn so, daß ich vorwärts wieder hinausfahren konnte. Dann machte ich die Scheinwerfer aus. Schlagartig stellte sich ein Gefühl völliger Abgeschiedenheit ein. In den Sträuchern hörte ich Grillen zirpen. Sonst herrschte Stille. Es war kaum zu glauben, daß man sich hier mitten in der Stadt befand. Der schwache Lichtschein der Straßenlaternen reichte nicht bis hierhin, und der Verkehrslärm war nur noch das leise Rauschen einer entfernten Brandung. Die Umgebung wirkte wie eine Wildnis, obwohl mein Büro in der Innenstadt nur zehn Minuten entfernt lag.
    Als ich in Richtung des Haupthauses blickte, sah ich weiter nichts als dicht wucherndes Gebüsch, uralte immergrüne Eichen und vereinzelte struppige Nadelgewächse. Obwohl die Zweige der wenigen Laubbäume kahl waren, konnte ich in der Ferne keine Lichter sehen. Ich klappte das Handschuhfach auf und holte meine Taschenlampe heraus und vergewisserte mich, daß die Batterien funktionierten. Dann stellte ich meine Handtasche auf den Rücksitz, stieg aus und schloß das Auto ab. In ungefähr fünfzehn Meter Entfernung konnte ich in dem nun verlassenen Garten zwischen mir und dem Haupthaus die Gerippe der zeltartigen Konstruktionen für die Stangenbohnen sehen. Die Luft roch intensiv nach feuchtem Moos und Eukalyptus.
    Ich stieg die Stufen zur hölzernen Veranda an der Vorderseite der Hütte hinauf. Die Eingangstür war aus den Angeln gehoben worden und lehnte nun neben der Türöffnung an der Wand. Ich betätigte den Lichtschalter und stellte erleichtert fest, daß der Strom noch angeschlossen war. An der Decke hing lediglich eine Vierzigwattbirne, die die Räume in fahles Licht tauchte. Die Hütte war nur notdürftig — wenn überhaupt — isoliert, und es war eiskalt. Obwohl sämtliche Fensterscheiben unversehrt waren, hatte sich in jedem Winkel feiner Ruß abgelagert. Auf den Fensterbrettern lagen tote Insekten. In einer Ecke des Fensterrahmens hatte eine Spinne eine Fliege in einen weißen, seidigen Schlafsack eingewoben. Es roch nach Moder, verrostetem Metall und brackigem Wasser, das sich in den Rohren staute. Ein Teil des Holzfußbodens im großen Zimmer war von der Spurensicherung herausgesägt worden, dann hatte man die klaffende Öffnung mit einer verzogenen Sperrholzplatte abgedeckt. Ich bewegte mich vorsichtig darum herum. Direkt über mir trippelte und huschte irgend etwas über den Dachboden. Vor meinem geistigen Auge sah ich Eichhörnchen, die sich durch Ritzen im Dach zwängten und Nester für ihre Jungen bauten. Im Strahl meiner Taschenlampe konnte ich sehen, was sich in zehn Monaten Verwahrlosung angesammelt hatte: Kot von Nagetieren, verwelkte Blätter und von Termiten hinterlassene, pyramidenförmige Schutthäufchen.
    Die Wohnfläche war L-förmig, mit einem engen Badezimmer im Innenwinkel. Die Installationen für Bad und Kochnische hingen zusammen, und es gab eine Eßecke, die ins »Wohnzimmer« hineinragte. Ich sah die Metallplatte auf dem Fußboden, auf der der Holzofen gestanden hatte. An den weißgestrichenen Wänden tummelten sich Weberknechte, und ich ertappte mich dabei, wie ich sie während meines Rundgangs nervös im Auge behielt. Auf der einen Seite der Haustür befand sich der Klingelkasten für die Türglocke, der etwa so groß war wie eine Zigarettenschachtel. Jemand hatte das Gehäuse von der Wand gerissen, und ich sah, daß der Mechanismus fehlte. Ein mit grünem Kunststoff verkleidetes Elektrokabel war durchtrennt worden und hing nun zur Seite wie ein welker Blumenstengel, dessen Blüte abgefallen war.
    Lornas Schlafnische hatte sich vermutlich im kürzeren Arm des Ls befunden. Die Küchenschränke waren leer und mit Linoleum ausgelegt, das noch von Maismehl und alten Corn-flakes-Bröseln bedeckt war. Sirup oder Melasse war ausgelaufen, und ich konnte die kreisrunden Abdrücke von Konservendosen erkennen. Dann sah ich mir das fensterlose Badezimmer an. Die Toilette war alt, der Spülkasten hoch und schmal. Die Toilettenschüssel selbst ragte in den Raum wie ein Adamsapfel aus Porzellan. Der braune Holzsitz war rissig und machte ganz

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