Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
unauffällig überwacht werden. Mutters Krebs war bereits diagnostiziert worden, und sie bekam Chemotherapie. Es war so eingerichtet, daß es uns allen paßte.«
»Sie haben also zum Zeitpunkt von Lornas Tod bei Ihrem Vater gewohnt?«
»Genau. Er befindet sich in ärztlicher Behandlung, aber er ist ein reichlich widerspenstiger Patient. Ich wollte verreisen, ihn aber nicht allein zu Hause lassen. Dad war unerbittlich. Er schwor, daß er keine Hilfe bräuchte, aber ich bestand darauf. Was habe ich schon von einem Wochenendausflug, wenn ich mir die ganze Zeit Sorgen um ihn machen muß? Genau das wollte ich mit ihr absprechen, als ich zu ihrer Hütte gegangen bin und sie gefunden habe. Ich hatte seit Tagen versucht, sie anzurufen und sie nie erreicht. Roger erzählte mir, daß sie zwei Wochen Resturlaub genommen hätte, aber jeden Tag zurückkommen sollte. Ich wußte nicht genau wann, und deshalb dachte ich, ich schaue kurz vorbei und hinterlasse ihr einen Zettel. Ich habe neben der Hütte geparkt, und schon als ich aus dem Wagen stieg, bemerkte ich den Gestank — von den Fliegen ganz zu schweigen.«
»Wußten Sie, was es war?«
»Tja, ich wußte nicht, daß sie es war, aber ich wußte, daß es etwas Totes sein mußte. Der Geruch ist ziemlich eindeutig.«
Ich ging zu einem anderen Thema über. »Jeder, den ich bisher befragt habe, hat mir erzählt, wie schön sie war. Ich frage mich, ob andere Frauen sie nicht als Drohung empfunden haben.«
»Ich bestimmt nicht. Aber natürlich kann ich nicht für andere Frauen sprechen«, sagte sie. »Männer schienen sie anziehender zu finden als Frauen, aber ich habe sie nie flirten sehen. Allerdings spreche ich hier wiederum nur von Gelegenheiten, bei denen ich sie gesehen habe.«
»Nach allem, was ich gehört habe, lebte sie gern gefährlich«, sagte ich. Ich schnitt das Thema an, ohne es als Frage zu formulieren, da mich interessierte, wie ihre Reaktion ausfiel. Serena hielt meinem Blick stand, sagte jedoch nichts. Bislang hatte sie zu allen meinen Fragen einen Kommentar abgegeben. Ich versuchte es noch einmal anders. »War Ihnen bekannt, daß sie in andere Aktivitäten verwickelt war?«
»Ich verstehe die Frage nicht. Von was für Aktivitäten sprechen Sie?«
»Sexueller Natur.«
»Ah. Das. Ja. Ich nehme an, Sie meinen das Geld, das sie mit diesen Hotelgeschäften verdiente. Bumsen gegen Bezahlung«, sagte sie scherzhaft. »Ich fand nicht, daß es meine Sache wäre, davon anzufangen.«
»War es allgemein bekannt?«
»Ich glaube nicht, daß Roger davon wußte, aber ich schon.«
»Woher wußten Sie es?«
»Ich weiß es nicht genau. Ich kann mich wirklich nicht erinnern. Indirekt, glaube ich. Eines Abends bin ich ihr im Edgewater begegnet. Nein, warten Sie mal. Ich weiß, was passiert ist. Sie ist eines Nachts mit einer gebrochenen Nase in die Notaufnahme gekommen. Sie hatte zwar eine Erklärung dafür, aber die war nicht stichhaltig. Ich habe die Folgen von tätlichen Übergriffen und Gewaltanwendung schon zu oft gesehen, um mich täuschen zu lassen. Zu ihr habe ich nichts gesagt, aber ich wußte, daß irgend etwas los war.«
»Könnte es ein fester Freund gewesen sein? Jemand, mit dem sie zusammenlebte?«
Ich hörte Stimmen im Flur.
Sie sah zur Tür hinüber. »Das wäre wohl möglich gewesen, aber soweit ich weiß, hatte sie nie eine feste Beziehung. Auf jeden Fall kam mir die Geschichte, die sie erzählte, verdächtig vor. Ich habe sie mittlerweile vergessen, aber sie klang komplett erlogen. Und es war auch nicht nur die gebrochene Nase. Es kamen noch andere Dinge hinzu.«
»Wie zum Beispiel?«
»Ihre Garderobe und ihr Schmuck. Sie wollte, daß es nicht auffiel, aber es entging mir trotzdem nicht.«
»Wann ist die Sache passiert, die sie in die Notaufnahme brachte?«
»Das weiß ich nicht mehr genau. Vielleicht vor zwei Jahren. Schlagen Sie es in den Krankenakten nach. Dort steht das Datum.«
»Da kennen Sie die Krankenhäuser aber schlecht. Leichter bekäme ich Zugang zu Staatsgeheimnissen«, sagte ich.
Im Warteraum begann ein Baby herzzerreißend zu schluchzen.
»Spielt es denn eine Rolle?«
»Möglicherweise. Stellen Sie sich nur vor, der Kerl, der ihr die Nase zertrümmert hat, hätte beschlossen, es endgültig zu machen.«
»Oh. Ich verstehe, was Sie meinen.« Serenas Augen wanderten erneut zu der offenen Tür, als Joan vorüberging.
»Aber sie hat sich Ihnen nicht anvertraut, als sie hierher kam?«
Ȇberhaupt nicht. Nachdem ich sie im
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