Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Edgewater gesehen hatte, zählte ich eben zwei und zwei zusammen.«
»Kommt mir wie ein großer Sprung vor.«
»Nicht, wenn Sie sie an dem Abend gesehen hätten, als ich ihr begegnet bin. Teilweise lag es an dem Typ, mit dem sie zusammen war. Älter und überaus elegant. Goldschmuck, schicker Anzug. Zweifellos ein Mann, der mit Geld um sich werfen konnte. Ich sah sie in der Bar, und später in der Boutique, wo sie Kleider anprobierte. Es muß ihn an diesem Abend ein hübsches Sümmchen gekostet haben. Vier Escada-Kostüme, und ein fünftes führte sie gerade vor.«
»Ich nehme an, Escada ist teuer.«
»Mein Gott.« Sie lachte und schlug sich gegen die Brust.
In der Untersuchungszelle gegenüber gingen die Lichter an. Ich konnte das Stimmengewirr hören: ein überreiztes Baby und eine Mutter, die mit schriller Stimme eine Tirade auf spanisch abfeuerte.
Serena sprach weiter. »Im selben Monat ist sie mir dort noch einmal begegnet, wenn ich mich recht erinnere. Die gleiche Situation, ein anderer Kerl, der gleiche Blick. Man mußte nicht besonders schlau sein, um es zu begreifen.«
»Glauben Sie, daß einer von diesen Männern sie zusammengeschlagen hat?«
»Ich halte das auf jeden Fall für eine bessere Erklärung als die, die sie mir gegeben hat. Ich will nicht behaupten, daß es immer zutrifft, aber eine Reihe von Männern in diesem Alter kämpft mit zunehmender Impotenz. Sie kaufen sich teure Callgirls und werfen mit Geld um sich. Champagner und Geschenke, eine umwerfende junge Frau im Schlepptau. Oberflächlich gesehen macht sich das gut, und alle denken, was für ein toller Hengst er doch ist. Was diese Männer suchen, ist eine Beziehung, in der sie überlegen sind, weil sie anders keinen mehr hochkriegen. Er zahlt für ihre Dienste, und wenn sein Ding nicht funktioniert, ist es ihre Schuld und nicht seine, und er kann seiner Enttäuschung in jeder ihm genehmen Form Ausdruck verleihen.«
»Mit der Faust.«
»Wenn Sie es unter diesem Aspekt sehen wollen, warum nicht? Er hat sie bezahlt. Sie gehört ihm. Wenn er es nicht bringt, kann er sie dafür verantwortlich machen und ihr eine Abreibung verpassen.«
»Tolles Geschäft. Sie behält das Geld und die Kleider im Austausch für die Bestrafung.«
»Sie wird ja nicht immer bestraft. Manche von diesen Typen werden selbst gern bestraft. Geschlagen und erniedrigt. Sie lassen sich gern ihre kleinen Hintern versohlen, weil sie ganz, ganz böse waren.«
»Hat Lorna Ihnen das erzählt?«
»Nein, aber ich habe es von zwei anderen Huren gehört, die hier im Ort ihre Runden drehen. Außerdem habe ich einiges über dieses Thema gelesen, als ich mein Examen gemacht habe. Immer wieder habe ich sie hier hereinkommen sehen und mich darüber aufgeregt, wie sie behandelt worden sind, wütend, weil ich nicht wirklich begriff, was sich da abspielte. Ich wollte sie retten, sie vor den >bösen< Kerlen beschützen. Als ob das etwas genutzt hätte. Seltsamerweise bin ich eine bessere Krankenschwester, wenn ich distanziert bleiben kann.«
»Und das haben Sie bei ihr getan?«
»Genau. Ich habe Mitleid empfunden, aber nicht versucht, sie >umzukrempeln<. Das war nicht meine Aufgabe. Und sie hat es auch nicht als Problem betrachtet, zumindest nicht, soweit ich weiß.«
»Sie scheinen sich oft im Edgewater aufzuhalten. Treffen sich dort heutzutage die Singles?«
»Die Singles in unserer Altersgruppe schon. Ich bin sicher, Jüngere würden es maßlos verstaubt und die Preise astronomisch finden. Ehrlich gesagt macht sich das Eheleben dagegen ziemlich gut.«
»Können Sie sich zufällig noch daran erinnern, wann genau Sie sie dort gesehen haben? Wenn ich im Hotel nachfrage, läßt es sich leichter überprüfen.«
Sie überlegte kurz. »Einmal war ich mit einer Gruppe Freundinnen dort. Wir treffen uns immer, um Geburtstage zu feiern. Damals war es meiner, also muß es Anfang März gewesen sein. Wir schaffen es nicht immer, uns genau am richtigen Tag zu treffen, aber es muß ein Freitag oder Samstag gewesen sein, weil wir immer an diesen Tagen ausgehen.«
»Und das war im vergangenen März?«
»Muß wohl.«
»War das vor der gebrochenen Nase oder danach?«
»Keine Ahnung.«
»Wußte Lorna, daß Sie Bescheid wußten?«
»Tja, sie hat mich an diesem einen Abend gesehen und davor vielleicht noch zweimal. Da Roger und ich bereits getrennt lebten, war ich fast jedes Wochenende mit Freunden aus. Lorna und ich haben nicht gerade offen über ihren >Beruf< diskutiert, aber es gab
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