Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
verurteilt.
Mein Körper war müde und angeheizt zugleich. Ich warf Tasche und Jacke auf den Stuhl neben der Tür und sah auf den Anrufbeantworter: keine Nachrichten. Hatte ich Wein im Haus? Nein, hatte ich nicht. Ich untersuchte den Inhalt meines Kühlschranks und konnte nichts von kulinarischem Interesse entdecken. Meine Speisekammer war ebenso karg bestückt: ein paar Konservendosen und trockene Hülsenfrüchte, die weder einzeln noch in irgendeiner Kombination auch nur etwas entfernt Eßbares ergeben würden, es sei denn, man schwärmte für rohe Linsen mit Ahornsirup. Im Erdnußbutterglas hatten sich am Boden spiralige Formen abgesetzt, als sei der Rest ausgelaufen. Ich schnappte mir ein Küchenmesser, schabte die Seiten des Glases ab und leckte die Erdnußbutter beim Herauslaufen von der Messerschneide. »Das ist ja wirklich erbärmlich«, sagte ich lachend, aber eigentlich kümmerte es mich nicht im geringsten.
Beiläufig schaltete ich den Fernseher an. Lornas Band steckte noch im Videorecorder. Ich drückte auf die Fernbedienung, und das Band begann erneut zu laufen. Ich hatte nicht die leiseste Absicht, mir spätnachts noch einen Sexfilm anzusehen, aber ich ging zweimal den Abspann durch. Am Vorabend hatte ich bei der Telefonauskunft von San Francisco angerufen und auf die Nummer der Produktionsfirma Cyrenaic Cinema gehofft. Im Abspann waren sowohl der Produzent als auch der Regisseur und der Cutter namentlich aufgeführt: Joseph Ayers, Morton Kasselbaum und Chester Ellis. Zum Teufel auch, die Leute von der Telefonauskunft sind ohnehin die ganze Nacht wach.
Ich versuchte es in umgekehrter Reihenfolge mit den Namen und zog mit den ersten beiden Nieten. Aber der Produzent war ein Volltreffer. Die Telefondame säuselte: »Danke, daß Sie AT&T benutzen«, und eine Bandaufzeichnung setzte ein. Eine mechanische Stimme meldete sich und nannte mir zweimal die Telefonnummer von Joseph Ayers.
Ich schrieb sie auf und rief erneut bei der Telefonauskunft von San Francisco an, diesmal, um nach einem Eintrag unter den Namen der anderen beiden Darsteller zu fragen, Russell Turpin und Nancy Dobbs. Sie war nicht eingetragen, aber es gab zwei Turpins mit dem Vornameninitial R, einer in Haight und einer in Greenwich. Ich notierte mir beide Nummern. Auf die Gefahr hin, meine Zeit und Janice Keplers Geld zu vergeuden, mochte eine Fahrt in den Norden eventuell die Mühe wert sein. Wenn die Kontakte zu nichts führten, bestand zumindest Hoffnung, die Pornogeschichte als Ursache für den Tod ihrer Tochter ausschließen zu können.
Ich rief in Frankie’s Coffee Shop an, und Janice nahm beim zweiten Klingeln ab. »Janice, hier ist Kinsey. Ich habe eine Frage.«
»Schießen Sie los. Hier ist überhaupt kein Betrieb.«
Ich erzählte ihr die wichtigsten Einzelheiten aus meinen Gesprächen mit Fieutenant Dolan und Serena Bonney und informierte sie dann über meine Mini-Erfassung des Pornofilmteams. »Ich glaube, es könnte sich lohnen, mit dem Produzenten und dem anderen Schauspieler zu sprechen.«
»Ich kann mich an ihn erinnern«, unterbrach sie mich.
»Ja, gut, und ich hoffe, daß ich mit diesem Turpin und dem Produzenten ein paar Dinge klären kann. Ich werde versuchen, sie beide zuvor telefonisch zu erreichen, aber ich finde, es wäre sinnvoll, eine kleine Reise zu unternehmen. Wenn ich mit den beiden einen Termin ausmachen kann, werde ich wohl hochfahren.«
»Sie wollen fahren?«
»Das hatte ich vor.«
»Haben Sie nicht einen winzigen, kleinen VW? Warum fliegen Sie nicht? Ich an Ihrer Stelle würde das tun.«
»Das könnte ich wohl«, sagte ich zweifelnd. »Allerdings wird bei einem so kurzfristigen Flug das Ticket Unsummen kosten. Außerdem müßte ich mir dort einen Wagen mieten. Motel, Mahlzeiten...«
»Das macht mir nichts aus. Heben Sie einfach Ihre Quittungen auf, und wir werden Ihnen alles erstatten, wenn Sie wieder zurück sind.«
»Was ist mit Mace? Haben Sie ihm von dem Film erzählt?«
»Tja, ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich es tun würde. Zuerst war er natürlich schockiert, und dann wurde er fürchterlich wütend. Nicht auf sie, sondern auf denjenigen, der sie dazu angestiftet hat.«
»Was hält er von den Ermittlungen an sich? Gestern kam er mir nicht gerade begeistert vor.«
»Er hat mir dasselbe gesagt wie Ihnen«, sagte sie. »Wenn es mich glücklich macht, ist er damit einverstanden.«
»Bestens. Ich werde vermutlich morgen irgendwann am Nachmittag hochfliegen und mich wieder bei Ihnen
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