Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
melden, wenn ich zurück bin.«
»Guten Flug«, wünschte sie mir.
9
Am nächsten Morgen raffte ich mich um neun Uhr dazu auf, Ida Ruth anzurufen und ihr zu sagen, daß ich in Bälde käme, für den Fall, daß jemand nach mir fragte. Als ich die Decke wieder hochzog, warf ich einen Blick durch das Plexiglas-Oberlicht über meinem Bett. Klarer, wolkenloser Himmel und vermutlich achtzehn Grad Außentemperatur. Zum Teufel mit dem Joggen. Ich gönnte mir noch zehn Minuten Ruhe. Als ich das nächste Mal aufwachte, war es 12. Uhr 37 und ich fühlte mich so verkatert, als hätte ich mich in der Nacht zuvor besinnungslos betrunken. Der Trick beim Schlafen besteht darin, daß der Körper einen — abgesehen von der Anzahl der Stunden, die man ihm bewilligt — dafür zur Rechenschaft zieht, wann man schläft. Wenn man von vier Uhr morgens bis elf Uhr morgens schläft, kommt das nicht unbedingt derselben Anzahl von Stunden gleich, die man zwischen elf Uhr abends und sechs Uhr morgens an der Matratze horcht. Ich hatte mir volle sieben Stunden gegönnt, aber mein gewohnter Stoffwechselrhythmus war nun eindeutig aus dem Trott geraten und brauchte zusätzliche Ruhezeiten, um sich zu regulieren.
Ich rief Ida Ruth erneut an und war beruhigt zu erfahren, daß sie beim Mittagessen war. Ich hinterließ eine Nachricht des Inhalts, daß ich bei einem Termin mit einem Kunden aufgehalten worden sei. Fragen Sie mich nicht, warum ich eine Frau anschwindele, die meinen Gehaltsscheck nicht einmal zu sehen bekommt. Manchmal lüge ich einfach, um es nicht zu verlernen. Ich stolperte aus dem Bett und ins Badezimmer, wo ich mir die Zähne putzte. Ich fühlte mich wie nach einer Vollnarkose und war überzeugt davon, daß keines meiner Glieder funktionieren würde. Ich lehnte mich unter der Dusche an die Wand und hoffte, die Hydrotherapie würde mich wieder ins Gleichgewicht bringen. Endlich angezogen, ertappte ich mich um ein Uhr nachmittags beim Frühstücken und fragte mich, ob ich jemals wieder in den normalen Rhythmus käme. Dann machte ich mir eine Kanne Kaffee und schüttete mich mit Koffein voll, während ich ein paar Anrufe nach San Francisco erledigte.
Ich kam nicht besonders weit. Anstelle von Joseph Ayers erreichte ich einen Anrufbeantworter, der seiner gewesen sein könnte oder auch nicht. Er spulte eine dieser geschickt formulierten Mitteilungen ab, die keinerlei Bestätigung dafür geben, wen oder welche Nummer man erreicht hat. Eine mechanische Männerstimme sagte: »Leider war ich nicht hier, um Ihren Anruf entgegenzunehmen, aber wenn Sie mir Namen, Telefonnummer und eine kurze Mitteilung hinterlassen, rufe ich Sie zurück.«
Ich nannte meinen Namen und meine Büronummer und hinterließ anschließend Nachrichten auf den Anrufbeantwortern beider R. Turpins. Die eine Stimme war weiblich, die andere männlich. Beiden Turpins zwitscherte ich fröhlich aufs Band: »Ich weiß nicht, ob ich jetzt den richtigen Turpin habe oder nicht. Ich suche Russell. Ich bin eine Freundin von Lorna Kepler. Sie hat gesagt, ich soll mich melden, wenn ich mal in San Francisco bin, und da ich in den nächsten paar Tagen oben sein werde, dachte ich, ich sage mal hallo. Rufen Sie mich bitte zurück, wenn Sie diese Nachricht bekommen. Ich würde Sie gern kennenlernen. Sie hat so nett von Ihnen gesprochen. — Danke.« Bei der Auskunft in San Francisco fragte ich die Namen der anderen Mitglieder des Filmteams ab, bis ich die ganze Liste durch hatte. Die meisten von ihnen hatten keinen Eintrag.
Bevor ich das Haus verließ, holte ich ein frisches Päckchen Karteikarten aus meinem Schreibtisch und trug auf ihnen die Informationen ein, die ich bislang zu dem Fall gesammelt hatte — etwa vier Karten voll. Im Laufe der vergangenen Jahre hatte ich die Gewohnheit entwickelt, mit Hilfe von Karteikarten die Tatsachen zu notieren, die während einer Ermittlung zutage treten. Ich hänge die Karten an die Pinnwand über meinem Schreibtisch, und in ruhigen Momenten ordne ich die Daten ohne erkennbares Muster immer wieder anders an. Irgendwann wurde mir klar, wie anders sich ein Detail ausnehmen kann, wenn man es außerhalb seines Kontextes betrachtet. Wie bei den Teilen in einem Puzzle scheint die Form der Wirklichkeit der Umgebung entsprechend zu schwanken. Was merkwürdig oder ungewöhnlich erscheint, kann vollkommen stimmig sein, wenn es an die richtige Stelle kommt. In ganz ähnlicher Weise kann etwas ganz Unscheinbares plötzlich wertvolle Geheimnisse aufdecken,
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