Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Gemütsaufwallung, die jeden anderen Gesichtsausdruck überdeckte. »Wie bitte?«
»Ich wollte wissen, ob Sie etwas gegen eine kurze Unterhaltung hätten«, sagte ich.
»Ja, allerdings. Ich habe einen langen, harten Arbeitstag hinter mir, und ich mag es nicht, wenn mir jemand beim Essen zusieht.«
Mir wurde plötzlich ganz heiß, als hielte mir jemand eine Lötlampe in den Nacken. »Vielleicht später«, sagte ich: Ich drehte mich um und stieg die Stufen wieder hinunter. Als sich die Tür hinter mir schloß, murmelte er etwas Obszönes.
Mit quietschenden Reifen fuhr ich rückwärts aus der Einfahrt und schaltete in den ersten Gang. Was für ein Arschloch. Ich konnte den Mann nicht ausstehen. Er war ein Ekel und ein aufgeblasener Wicht, hoffentlich plagten ihn juckende Hämorrhoiden. Ich fuhr ziellos durch die Gegend und versuchte, mich zu beruhigen. Ich hatte keine Ahnung, was ich nun tun sollte. Ich hätte zu Frankie’s fahren und dort mit Janice sprechen können, aber mir war klar, daß ich mir einige gehässige Bemerkungen über ihren Ehemann nicht würde verkneifen können.
Statt dessen ging ich ins Caliente Café und hielt Ausschau nach Cheney Phillips. Für einen Mittwochabend war es noch früh, aber CC’s war bereits überfüllt. Die Stereoanlage plärrte, und der Zigarettenrauch stand so dicht, daß das Atmen schwerfiel. Für ein Lokal, das keine Happy Hour hatte, keine Zwei-Gerichte-zum-Preis-von-einem-Aktionen und keine Vorspeisen (es sei denn, man hält Chips und Salsa für eine Abart von Canapés) ist CC’s von fünf Uhr nachmittags an, wenn es aufmacht, bis zwei Uhr morgens, wenn es schließt, gut besucht. Cheney saß in Sporthemd, ausgebleichten Jeans und halbhohen Stiefeln an der Bar. Vor ihm stand ein Bier, und er unterhielt sich mit dem Mann neben ihm. Als er mich sah, begann er zu grinsen. Herrgott, ich falle wirklich regelmäßig auf gute Zähne herein. »Kinsey! Wie geht’s? Du hast dir die Haare schneiden lassen. Sieht gut aus.«
»Danke. Hast du einen Moment Zeit?«
»Aber sicher.« Er nahm sein Bier und ließ sich vom Barhocker gleiten, während er das Lokal nach einem freien Tisch absuchte, an dem wir uns unterhalten konnten. Der Barkeeper kam auf uns zu. »Wir brauchen ein Glas Chardonnay«, sagte Cheney.
Wir entdeckten einen Tisch an der Seitenwand. Eine Weile kotzte ich meine Abneigung gegen Mace Kepler aus. Cheney mochte den Typ auch nicht besonders, und so genoß er meine Ausführungen.
»Ich weiß nicht, was es ist. Er bringt mich einfach auf die Palme.«
»Er haßt Frauen«, sagte Cheney.
Ich sah ihn erstaunt an. »Ist es das? Vielleicht liegt es daran.«
»Und was hat sich sonst getan?«
Ich verbrachte ein paar Minuten damit, ihn über meine Stippvisite in San Francisco, mein Gespräch mit Trinny, ihr Geständnis hinsichtlich des Pornovideos und schließlich das fehlende Geld von dem Bankkonto zu informieren. Dann zeigte ich ihm den Kontoauszug und beobachtete dabei seine Miene. »Was meinst du?«
Er hatte sich mittlerweile hingelümmelt und die Beine ausgestreckt. Er stützte einen Ellbogen auf den Tisch und hielt den Auszug an einer Ecke hoch. Dann richtete er sich auf. Beeindruckt schien er nicht zu sein. »Sie wollte verreisen. Vermutlich hat sie Geld gebraucht.« Er saß da und studierte den Kontoauszug, während er sein Corona schlürfte.
»Danach habe ich Danielle gefragt. Sie sagt, Lorna hätte nie selbst bezahlt. Sie pflegte nur mit Männern zu verreisen, die sie zu allem einluden.«
»Ja, aber es muß trotzdem nicht unbedingt etwas bedeuten«, sagte er.
»Natürlich muß es nicht unbedingt etwas bedeuten, aber es könnte doch sein. Das ist der Punkt. Serena sagt, J. D. sei kurz in die Hütte gegangen, als sie auf die Polizei gewartet haben. Stell dir vor, er hat es eingesteckt.«
»Du glaubst, es hat einfach so dagelegen, dieses Riesenbündel Kohle?«
»Tja, es könnte sein«, sagte ich.
»Ja, von mir aus. Aber du weißt doch nicht, ob Lorna nicht in illegale Wetten verwickelt war, sich einen Pelzmantel geleistet oder eine Ladung Drogen gekauft hat.«
»Mhm«, murmelte ich und unterbrach seine Litanei. »Oder vielleicht hat sich auch der erste Polizist am Tatort die Scheine geschnappt.«
»Tolle Idee«, sagte er. Die Vorstellung von einer korrupten Polizei behagte ihm nicht. »Außerdem weißt du doch gar nicht, ob es sich um Bargeld gehandelt hat. Es hätte auch ein Scheck sein können, der auf jemand anders ausgestellt ist. Sie könnte das Geld
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