Kinsey Millhone 11 - Frau in der Nacht
Geben Sie mir eine Schere, und ich mache einen Traum aus Ihnen. Ohne Witz.«
»Ich habe nur eine Nagelschere. Vielleicht nach dem Essen.«
»Kommen Sie. Wir haben noch eine Viertelstunde, bevor die Pizza kommt. Und schauen Sie mal.« Sie machte ihre Umhängetasche auf und ließ mich einen Blick hineinwerfen. »Ta-da.« Darin hatte sie eine Bürste, einen kleinen Fön und eine Schere. Sie legte den Fön auf die Arbeitsfläche und klapperte mit der Schere, als wären es Kastagnetten.
»Sie sind extra mit dieser Ausrüstung hierhergekommen?«
»Das habe ich immer dabei. Im Palace mache ich manchmal auf der Damentoilette Haarschnitte.«
Schließlich saß ich mit einem Handtuch um den Hals und über dem Spülbecken haßgemachten Haaren auf einem Küchenstuhl. Danielle plapperte fröhlich vor sich hin, während sie an mir herumschnippelte. Um mich herum begannen sich Haarsträhnen anzusammeln. »Kriegen Sie jetzt bloß keine Angst. Ich weiß, es sieht nach viel aus, aber das liegt bloß daran, daß alles so ungleichmäßig ist. Sie haben tolles Haar, schön und dick und mit einem Ansatz von Wellen. Na ja, vielleicht sollte ich lieber Volumen sagen statt Wellen, aber das ist ja noch besser.«
»Und warum haben Sie das Examen nicht gemacht?«
»Ich habe das Interesse verloren. Außerdem ist die Kohle nicht so besonders. Mein Vater hat immer gesagt, es wäre eine gute Grundlage für den Fall, daß die Wirtschaft zusammenbricht, aber auf den Strich gehen ist besser — meiner Meinung nach. Auch wenn ein Typ nicht die Knete hat, sich die Haare trockenblasen zu lassen, hat er immer noch einen Zwanziger für Blasmusik übrig.«
Im stillen überlegte ich. Ich brauchte eine halbe Sekunde, bis mir klar war, was sie damit meinte. »Was wollen Sie tun, wenn Sie zum Bumsen zu alt sind?«
»Ich mache Kurse für Finanzverwaltung am City College. Geld ist das einzige andere Thema, das mich interessiert.«
»Sie werden es bestimmt weit bringen.«
»Irgendwo muß man anfangen. Und was ist mit Ihnen? Was wollen Sie machen, wenn Sie zu alt zum Bumsen sind?«
»Ich bumse ja nicht mal jetzt. Ich bin so rein wie frisch gefallener Schnee.«
»Tja, kein Wunder, daß Sie schlecht drauf sind. So was Fades«, meinte sie.
Ich lachte.
Wir schwiegen eine Weile, während sie sich auf ihre Arbeit konzentrierte. »Was wollten Sie denn wissen? Sie haben doch gesagt, Sie wollten mich etwas fragen.«
»Vielleicht sollte ich vorher meine Barschaft überprüfen.«
Sie zog mich an den Haaren.»Jetzt seien Sie doch nicht so. Ich wette, Sie sind eine von der Sorte, die herumalbert, um andere Leute auf Distanz zu halten, stimmt’s?«
»Ich glaube nicht, daß ich darauf antworten muß.«
Sie lächelte. »Sehen Sie? Ich kann Sie verblüffen. Ich bin viel klüger, als Sie denken. Und jetzt fragen Sie.«
»Ach ja. Hat Lorna erwähnt, daß sie zwanzig Riesen von einem Bankkonto abgehoben hat, bevor sie verreisen wollte?«
»Warum hätte sie denn das tun sollen? Sie ist immer mit irgendeinem Typen verreist. Sie hat nie ihr eigenes Geld ausgegeben, wenn sie irgendwohin gefahren ist.«
»Was für ein Typ?«
»Jeder, der darum gebeten hat«, antwortete sie, immer noch am Schneiden.
»Wissen Sie, wohin sie wollte?«
»Über so was hat sie nicht geredet.«
»Wissen Sie etwas von einem Tagebuch oder einem Terminkalender?«
Danielle berührte mit der Schere ihre Schläfen. »Sie hat das alles hier oben behalten. Sie hat gesagt, sonst würden sich ihre Kunden nicht sicher fühlen. Was ist, wenn die Bullen deine Bude durchsuchen? Sie haben einen Durchsuchungsbefehl, du bist erledigt und alle anderen auch. Hören Sie auf zu zappeln.«
»Entschuldigung. Wohin ist das Geld dann verschwunden? Es sieht so aus, als hätte sie das ganze Konto aufgelöst.«
»Tja, mir hat sie es jedenfalls nicht gegeben. Ich wünschte, sie hätte. Ich hätte auf der Stelle selbst ein Konto eröffnet.« Sie klapperte neben meinem Ohr mit der Schere, und sieben Haare fielen zu Boden. »Das hatte ich nämlich vor«, fügte sie hinzu. Sie legte die Schere auf die Arbeitsfläche und steckte den Haarfön ein. Mit der Bürste hob sie einzelne Haarsträhnen an. Es ist unglaublich beruhigend, wenn einem jemand auf diese Art an den Haaren herumwerkelt.
Ich hob leicht die Stimme, um den Lärm zu übertönen. »Könnte sie Schulden zurückbezahlt oder eine Kaution für jemanden gestellt haben?«
»Zwanzig Riesen Kaution — das wäre ja ein Wahnsinnsverbre-chen.«
»Hatte sie bei
Weitere Kostenlose Bücher