Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
menschenleeren Autoreihen ab und spähte in die Finsternis. Die Musik aus der Bar hinter mir war nur noch als dumpfes, monotones Hämmern wahrzunehmen. Ich sah einen Lichtstrahl und ein Auto, das auf den Parkplatz bog. Ich trat in die Dunkelheit zurück, bis ich genau wußte, dass es Macon in seinem Streifenwagen war. Er hielt neben mir an und blieb mit laufendem Motor drinnen sitzen. Ich trat hervor und ging um die Kühlerhaube des Streifenwagens herum zum Fenster auf der Fahrerseite. Er drehte es herunter, während ich näher kam. »Wie ist es gelaufen?« fragte er. Ich konnte die Geräusche aus seinem Funkgerät hören: die Zentrale im Gespräch mit einem anderen Teilnehmer. Er drehte den Ton leiser.
Ich legte eine Hand an die Tür. »Alice hat mir erzählt, dass das Gerücht umgehe, ich sei eine Art schießwütige Revolverheldin im Drogenwahn.«
Er sah zur Seite, rutschte nervös hin und her und klopfte mit seiner behandschuhten Hand aufs Lenkrad. »Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über Tratschereien. In dieser Stadt reden alle.«
»Dann haben Sie es also auch gehört?«
»Auf solches Zeug gibt doch kein Mensch etwas.«
»Stimmt nicht. Irgend jemand hat sich die Mühe gemacht, meine Vergangenheit auszukundschaften.«
»Und hat was gefunden? Das ist doch alles Schwachsinn. Ich glaube kein Wort davon.« Was bedeutete, dass er die gleichen Geschichten gehört hatte, die auch alle anderen vorgesetzt bekommen hatten. »Ich begleite Sie jetzt lieber nach Hause. Ich habe einen Funkspruch bekommen, dem ich nachgehen muß.«
Ich stieg in mein Auto, und er folgte mir bis zu Seimas Einfahrt und blieb mit laufendem Motor stehen, während ich den Rasen vor dem Haus überquerte. Selma hatte das Licht auf der Veranda brennen lassen, und mein Schlüssel ließ sich leicht im Schloß drehen. Ich winkte Macon von der Tür aus zu, woraufhin er davonfuhr. Ich schlüpfte aus meinen nassen Schuhen und trug sie den Flur hinunter zum Gästezimmer. Im Haus herrschte Stille. Ich hörte nicht einmal das Murmeln eines Fernsehers, das darauf hingedeutet hätte, dass Selma wach war.
Ich betrat das Gästezimmer und schloß hinter mir die Tür. Selma hatte eine Nachttischlampe eingeschaltet, so dass der ganze Raum in heiteres Rosa getaucht war. Auf den Nachttisch hatte sie mir einen Teller selbstgebackener Schokoladenplätzchen gestellt, abgedeckt mit Plastikfolie. Ich aß zwei davon und genoß den Geschmack von Butter und Vanille. Dann aß ich aus Höflichkeit noch zwei, bevor ich meine Jacke auszog. Offenbar hatte Selma nicht die Angewohnheit, nachts die Heizung herunterzudrehen, und im Zimmer hing eine erstickende Hitze. Ich ging zum Fenster hinüber, zog die Vorhänge beiseite und schob den unteren Teil des Fensters hoch. Eisige Luft strömte durch die Lücke, die das Sturmfenster hinterlassen hatte, das nach wie vor einen Meter tiefer in den Büschen lag. Ich starrte auf den Teil der Straße hinaus, den ich überblicken konnte. Ein Wagen fuhr langsam vorüber, und ich trat ins Zimmer zurück, während ich mich fragte, ob die Insassen mich hatten sehen können. Ich haßte es, in Nota Lake zu sein. Ich haßte es, Außenseiterin zu sein, die Zielscheibe für Dorfklatsch, der meine Handlungen verzerrt darstellte. Und ich haßte meine Vermutungen. Der Gedanke an eine Uniform löste bei mir mittlerweile einen Speichelfluß wie bei einem Hund aus, der einer merkwürdigen Form Pawlowscher Konditionierung unterworfen worden ist. Waren Abzeichen und Schlagstock einst Symbole persönlicher Sicherheit gewesen, stellte ich nun fest, dass mich ihr Anblick erzittern ließ, als hätte man mir Elektroschocks verpaßt. Wenn ich damit recht hatte, dass der Kerl in Verbindung zu den Polizeibehörden stand, dann hatte er die Obrigkeit auf seiner Seite, und was war ich? Ein kleines Würstchen von Privatdetektivin mit einem pedantischen Gerechtigkeitssinn. Mißverhältnis war gar kein Ausdruck dafür.
Warum konnte ich nicht einfach in mein Auto steigen und noch heute nacht nach Hause rasen? Ich sehnte mich nach einem Ort, wo es Menschen gab, die mich gern hatten. Einen Moment lang war der Sog überwältigend. Wenn ich binnen einer Stunde abreiste, könnte ich um vier Uhr morgens in Santa Teresa sein. Ich sah meine gemütliche Bett-Plattform mit ihrer blau-weißen Daunendecke vor mir, von wo aus ich durch das Oberlicht aus Plexiglas die Sterne sehen konnte. Bestimmt wäre der Himmel dort klar, und die Luft duftete nach dem Pazifik, der ganz in der
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