Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
»leer« anzeigte, wußte ich aus langer Erfahrung, dass mein zuverlässiger VW noch viele Kilometer weit fahren konnte. Trotzdem hatte ich keine Lust, den Rest der Tankfüllung dafür zu vergeuden, nach einem Ort zu suchen, wo ich die nächste Tankfüllung bekommen konnte. Ich ließ den Motor an, legte den Gang ein, fuhr aus dieser Tankstelle heraus und zweihundert Meter entfernt in die nächste hinein. Diesmal sah ich einen Tankwart bei den Zapfsäulen stehen und fuhr gleich dorthin. Tragen wir es offen aus, was immer es auch ist. Ich beugte mich hinüber und drehte das Fenster auf der Beifahrerseite hinunter. Freundlich sagte ich: »Hallo, haben Sie geöffnet?« Sein ausdrucksloser Blick verursachte mir einen Moment lang Unbehagen. Was hatte er denn?
Ich versuchte es mit einem Lächeln, das mir falsch vorkam, doch ich konnte es nicht besser. »Sprechen Sie Englisch? Habla Ingles?« Oder so ähnlich. Sein Lächeln war träge und bösartig. »Ja, Lady, allerdings. Und jetzt hauen Sie gefälligst ab hier. Wenn Sie in dieser Stadt bedient werden wollen, haben Sie Pech gehabt.«
»Entschuldigung«, sagte ich. Ich wandte den Blick ab und wahrte einen neutralen Gesichtsausdruck, als ich die Tankstelle verließ und an der ersten Straße nach rechts abbog. Unter der Jacke lief mir bereits der Schweiß den Rücken hinunter. Als ich außer Sichtweite war, parkte ich in einer Seitenstraße, um über meine Lage nachzudenken. Man hatte sich eindeutig abgesprochen, aber ich wußte nicht, ob diese Typen sich an mein Auto hielten oder an mein persönliches Aussehen. Ich zog die lederne Bomberjacke aus und warf sie auf den Rücksitz. Dann durchwühlte ich die verschiedenen Kleidungsstücke, die ich für solche Notfälle bei mir habe. Ich streifte ein schlichtes rotes Sweatshirt über und setzte eine Sonnenbrille und eine Baseballmütze der Dodgers auf. Dann stieg ich aus, öffnete den Kofferraum und holte den großen Kanister heraus, den ich immer dabeihabe. Ich schloß den Wagen ab und marschierte zur Hauptstraße hinüber, wo ich eine Tankstelle ansteuerte, an der ich mein Glück bisher noch nicht versucht hatte.
Ich spazierte am Büro vorbei und hielt direkt auf die Servicebucht zu, wo ein fluchender Mechaniker damit kämpfte, einen hartnäckigen Radbolzen an einem platten Reifen zu lockern. Ich sah auf das an der Tür hängende Schild mit der Aufschrift Mechaniker im Dienst . Darunter stand der Name des Mannes, Ed Boone , auf einem Plastikstreifen, der in einen Schlitz geschoben worden war. Ich wandte mich ab und ging aufs Büro zu, wo ich den Kopf zur Tür hineinsteckte. Der Tankwart war vielleicht neunzehn, hatte einen wasserstoffblonden Bürstenschnitt und grün lackierte Fingernägel. Er war ganz in die Hochglanzseiten eines Pornoheftes vertieft.
»Onkel Eddie hat gesagt, ich kann den hier auffüllen. Meinem Pickup ist etwa einen Block von hier das Benzin ausgegangen. Der Kanister gehört übrigens mir«, sagte ich und hielt ihn in die Höhe. Ich wollte nicht, dass der Typ hinterher behauptete, ich hätte ihn gestohlen. Bei meinem derzeitigen Ruf als kaltblütige Killerin hätte der Diebstahl eines Benzinkanisters exakt ins Bild gepaßt. Ich bildete mir ein, einen Anflug von Unsicherheit über sein Gesicht huschen zu sehen, doch ich machte mich ans Werk, als gehörte mir der Laden. Ich ging zur Selbstbedienungs-Zapfsäule und warf ihm einen Seitenblick zu, um zu sehen, ob er telefonierte. Er starrte durch die Fensterscheibe und beobachtete mich mit ausdrucksloser Miene, während ich den Kanister füllte. Die Summe belief sich auf 7,45 Dollar. Ich ging zum Büro zurück und reichte ihm einen Zehner, den er in die Tasche steckte, ohne mir Wechselgeld anzubieten. Sein Blick sank wieder auf das Pornoheft, als ich davonging. Schön zu wissen, dass - egal wie tief du sinkst - immer jemand bereit ist, auf deine Kosten Profit zu machen. Ich kehrte zu meinem Auto zurück, wo ich die zwanzig Liter Benzin in den Tank füllte. Dann stellte ich den Kanister wieder in den Kofferraum und fuhr los. Die Benzinuhr zeigte nun fast auf halbvoll. Mein Herz klopfte, als hätte ich eine Verfolgungsjagd hinter mir, und vielleicht hatte ich das auch. Offenbar würden von jetzt an alle meine Handlungen beobachtet und wenn möglich behindert werden. Noch nie hatte ich mich meiner Umgebung so entfremdet gefühlt. Ich befand mich ohnehin schon auf unbekanntem Terrain, und mein Wohlbefinden hing sowohl in direktem als auch in übertragenem Sirin von
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