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Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Titel: Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Nähe toste. Ich malte mir den Morgen aus. Henry würde Zimtschnecken backen, und wir würden gemeinsam frühstücken. Später könnte ich ihm im Garten helfen, wo er vor seinen Blumenbeeten knien würde, während seine bleichen Fußsohlen aussahen wie etwas, das man in Gips gegossen hat. Ich trat vom Fenster zurück und brach den Bann. Die einzige Straße nach Hause führt durch den Wald, dachte ich. Binnen Minuten hatte ich mich ausgezogen und war in das übergroße T-Shirt geschlüpft, das ich als Nachthemd benutzte. Normalerweise schlafe ich nackt, aber im Haus von jemand anderem sollte man vorbereitet sein, falls es brennt. Ich wusch mir das Gesicht und putzte mir unter den gewohnten Schwierigkeiten die Zähne. Dann kehrte ich ins Zimmer zurück und ging ruhelos auf und ab. Die Bücherregale standen voller Nippes. Es war keine einzige Illustrierte zu entdecken, und ich hatte diesmal vergessen, ein Buch mitzubringen. Zum Schlafen war ich zu aufgedreht. Ich holte meine Unterlagen aus der Reisetasche und ging ins Bett. Ich drehte die Le selampe so, dass ich meine getippten Notizen durchsehen konnte. Der einzige Punkt, der mir ins Auge fiel, war James Tennysons Erwähnung einer Frau, die an dem Abend, als Tom starb, die Straße entlangmarschiert war. Seinem Bericht zufolge war sie aus der Richtung von Toms Wagen gekommen und in den Wald abgebogen, als sie seinen Streifenwagen sah. Hatte er gelogen? Hatte er die Frau erfunden, um mich auf eine falsche Spur zu locken? Er war mir nicht unehrlich vorgekommen, aber die Folgerung daraus wäre interessant gewesen, denn das hieße, dass Tom in Gesellschaft dieser Frau war, als er seinen tödlichen Herzinfarkt erlitt. Ich fragte mich, was für eine Frau davongegangen wäre und ihn allein mit dem Tod hätte ringen lassen. Vielleicht eine, die es sich nicht leisten konnte, mit ihm zusammen gesehen zu werden. Nach allem, was ich über ihn wußte, glaubte ich nicht, dass er eine Affäre gehabt hatte. Also warum mußte die Frau - falls es sie gab - ihre Identität geheimhalten? Ich wußte auch, dass Tom zu ungewohnter Stunde im Rainbow Café gewesen war.
    Das Interessante war, dass James mir von dieser angeblichen Frau als Nachsatz zu seinen ersten Angaben erzählt hatte. Normalerweise bin ich gegenüber weiteren Ausführungen skeptisch. Berichte von Augenzeugen sind notorisch unzuverlässig. Die Geschichte ändert sich mit jedem Mal, wenn sie erzählt wird, und wird an jedes beliebige Publikum angepaßt, erweitert und ausgeschmückt, bis die Endversion nur noch ein verzerrtes Abbild der Wahrheit ist. Natürlich kann einem auch das Gedächtnis einen Streich spielen. Bilder können durch Gefühle verschleiert werden und erst später wieder ins Bewußtsein vordringen, wenn der geistige Film zurückgespult wird. Andererseits schwören Leute manchmal, Dinge gesehen zu haben, die nie stattfanden. Zum zweiten Mal fragte ich mich, ob Tom ins Rainbow Café gegangen war, um sich mit jemandem zu treffen. Ich hatte Nancy schon einmal danach gefragt, aber nun war es wohl an der Zeit, Druck zu machen. Ich legte meine Notizen beiseite und machte das Licht aus. Die Matratze war weich und schien zur einen Seite zu hängen. Die Laken hatten eine Satinoberfläche, die sich glitschig anfühlte und wenig Reibung erzeugte, um meiner Tendenz zum Abrutschen entgegenzuwirken. Die Steppdecke war bauschig und mit Daunen gefüllt. Ich lag da und schmorte in meiner eigenen Körperwärme. Als Beweis für meine starke Konstitution schlief ich sofort ein.
    23
    Ich erwachte vom entfernten Geräusch des Telefons, das in der Küche klingelte. Ich dachte, der Anrufbeantworter würde sich einschalten, doch beim achten durchdringenden Läuten warf ich die Decken beiseite und trabte in T-Shirt und Unterhose den Flur hinab. Selma war nirgends zu sehen, und der Anrufbeantworter war abgeschaltet. Ich nahm den Hörer ab. »Hier bei Newquist.« Jemand atmete mir ins Ohr und legte dann auf. Ich legte den Hörer auf und blieb einen Moment lang stehen. Oft wählt ja jemand, der den falschen Anschluß erwischt hat, noch einmal dieselbe Nummer, überzeugt, dass der Irrtum beim anderen liegt, weil dieser nicht derjenige ist, den man erreichen wollte. Die Stille hielt an. Ich schaltete den Anrufbeantworter ein und sah in Seimas Terminkalender nach, der an der Kühlschranktür hing. Vermerkt war nichts, doch es war Sonntag, und mir fiel ein, dass sie erwähnt hatte, nach der Kirche eine Cousine in Big Pine besuchen zu wollen. Das

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