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Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Titel: Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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alltäglichen Freundlichkeiten ab. Jetzt wurde ich geschnitten, und das beängstigte mich. Als ich den fließenden Verkehr musterte, wurde mir klar, dass mein hellblauer VW unter all den Pickups, Wohnmobilen, Nutzfahrzeugen, Pferdefuhrwerken und Geländewagen überaus auffällig wirkte.
    Neun Kilometer außerhalb der Stadt bog ich auf die gekieste Fläche neben dem Rainbow Café ein, wo ich mich links hielt und in eine Parklücke gegenüber den großen Mülltonnen fuhr. Ich blieb einen Moment lang sitzen und versuchte, »meine Mitte zu finden«, wie man in Kalifornien sagt. Ich habe keine Ahnung, was das heißen soll, aber es schien mir auf meine gegenwärtige Lage zu passen. Wenn ich schon vom Stamm ausgestoßen wurde, sollte ich lieber dafür sorgen, dass ich mein »Ego« im Griff hatte, bevor ich weitermachte. Ich atmete ein paarmal tief durch und stieg aus. Der Morgen war bedeckt, und die Berge ragten in der Ferne auf wie ein Haufen Gewitterwolken. Hier in der Gegend, wo weite Landstriche öde und unbebaut waren, pfiff der Wind über die Flächen und kühlte alles, was ihm in den Weg kam. Schneeflocken hingen wie Staubkörner in der eisigen Luft. Als ich den gekiesten Parkplatz überquerte, kam ich mir extrem auffällig vor. Ich blickte zu den Fenstern des Lokals hinüber und hätte schwören können, dass ich zwei Gäste mich anstarren und dann den Blick abwenden sah. Kälte durchfuhr mich, die geballte, uralte Macht der Ächtung durch die Sippe. Ich stellte mir vor, wie Gottesdienste stattfanden und Katholiken, Baptisten und Lutheraner allesamt Kirchenlieder sangen, Dank sagten und aufmerksam ihrer jeweiligen Predigt lauschten. Danach würden die Gläubigen von Nota Lake in die hiesigen Lokale drängen, nach wie vor im Sonntagsstaat und hungrig aufs Mittagessen. Ich sprach selbst ein kleines Gebet, als ich durch die Tür ging. Das Lokal war nur spärlich besucht. Ich sah mich rasch um. Am Tresen saß James Tennyson vor einer Tasse Kaffee. Er trug Jeans und hatte die Zeitung aufgeschlagen vor sich liegen. Daneben befanden sich ein leeres Wasserglas und eine zerknüllte blauschwarze Alka-Seltzer-Verpackung. Weder seine Frau Jo noch sein Baby, dessen Name mir nicht mehr einfiel, waren irgendwo zu sehen. Rafers Tochter Barrett arbeitete mit dem Rücken zu mir am Grill. Sie trug eine große weiße Schürze über Jeans und T-Shirt. Eine weiße Kochmütze bedeckte ihr locker herabfallendes Haar. Energisch agierte sie mit ihrem Spatel, drehte Würstchen um und warf vier Pfannkuchen in die Luft. Vor meinen Augen manövrierte sie die dampfenden Speisen auf zwei bereitstehende Teller. Nancy nahm sie und brachte sie dem Paar, das am Fenster saß. Rafer und Vicky LaMott saßen in der Nische in der Mitte der Reihe freier Tische. Sie waren gerade mit Essen fertig, und ich sah, dass Vicky sich anschickte, nach Handtasche und Mantel zu greifen. James sah übermüdet und abgespannt aus. Er sah mich und nickte - die ideale Mischung aus guten Manieren und Zurückhaltung. Sein gutes Aussehen wurde durch seinen mutmaßlichen Kater nur geringfügig beeinträchtigt. Ich steuerte eine Nische in der anderen Ecke an und murmelte Rafer und Vicky im Vorbeihuschen einen Gruß zu. Ich hatte Angst, auf eine Reaktion zu warten, für den Fall, dass sie mich ebenfalls schnitten. Ich setzte mich so hin, dass ich die Tür im Auge behalten konnte. Nancy bemerkte mich. Sie wirkte verblüfft, aber nicht abweisend, und ging auf den Tresen zu, um eine Portion Hafergrütze zu holen. »Ich komme gleich zu Ihnen. Möchten Sie Kaffee?«
    »Liebend gern.« Offenbar nahm sie nicht an dem gesellschaftlichen Boykott teil. Auch Alice war am Vorabend freundlich zu mir gewesen - zumindest so weit, dass sie mich vor der Eiseskälte gewarnt hatte, die auf mich zukam. Vielleicht waren es nur Männer, die mich ausschlossen; kein tröstlicher Gedanke. Immerhin war es ein Mann gewesen, der mir vor nur drei Tagen die Finger ausgerenkt hatte. Ich ertappte mich dabei, wie ich mir die Gelenke rieb, und bemerkte zum ersten Mal, dass die Schwellung und die Blutergüsse meinen Fingern das Aussehen exotischer, unreifer Bananen verliehen. Ich drehte in Erwartung des Kaffees meinen Becher um und spürte dabei, dass sich meine Finger immer noch nicht richtig krümmen ließen. Es fühlte sich an, als sei die Haut steif geworden und ließe keine Beugung zu. Während ich darauf wartete, bedient zu werden, studierte ich James' Profil und fragte mich, was er wohl mit Pinkie Ritter und

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