Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
klagende Bitte regelmäßig ab, und so war ich zum Bleiben gezwungen; ängstlich, beklommen und zu klein geraten, kämpfte ich gegen die Tränen an. Als ich acht war, lernte ich, nicht mehr zu fragen. Ich ging einfach, wenn es mir paßte, und stand hinterher die Folgen durch. Was wollten sie denn machen -mich kaltblütig erschießen?
Der Eingang zum Gemeindezentrum führte in einen breiten Korridor, der als Empfangshalle diente und gerade renoviert wurde. Aktenschränke und Lagerregale waren auf die nicht mit Teppich ausgelegte Fläche gestellt worden. Die Wände waren mit irgendeinem undefinierbaren Holz getäfelt, die Decke ein niedriges Gitterwerk aus Schalldämmplatten. Teile des Flurs waren durch Leitkegel abgeteilt, die untereinander mit Plastikband verbunden waren, und handgeschriebene Schilder wiesen zu den derzeitigen Räumen verschiedener umgesiedelter Behörden.
Ich fand die Außenstelle des Sheriffbüros. Sie war klein und bestand aus mehreren zusammenhängenden Räumen, die aussahen wie die »Vorher«-Fotos in einer Einrichtungszeitschrift. Die Leuchtstofflampen trugen wenig dazu bei, die Atmosphäre zu verbessern, die aus einem Kuddelmuddel aus technischen Handbüchern, Wandplakaten, glänzender Holztäfelung, Büromaschinen, Drahtkörben und an sämtlichen glatten Flächen haftenden Notizen bestand. Die Schreibkraft war eine Frau Mitte Dreißig, die Laufschuhe, Jeans und ein blaues Sweatshirt über einem weißen Rollkragenpullover trug. Ihr Namensschild identifizierte sie als Margaret Brine. Sie hatte kurzgestutztes schwarzes Haar, eine ovale Brille mit schwarzer Fassung und zahlreiche Sommersprossen unter ihrem Puder und dem Rouge. Ihre Zähne waren groß und quadratisch und standen deutlich sichtbar auseinander.
Ich holte eine Visitenkarte heraus und legte sie auf den Tresen. »Ich wollte fragen, ob ich Rafer LaMott sprechen könnte.«
Sie nahm meine Karte und musterte sie kurz. »Weiß er, worum es geht?« »Der Leichenbeschauer hat mir empfohlen, mit ihm über Tom Newquist zu sprechen.«
Für einen kurzen Moment trafen sich unsere Blicke. »Warten Sie bitte«, sagte sie und verschwand durch eine Tür nach hinten, die vermutlich in die anderen Büros führte. Ich konnte ein Murmeln hören, und kurz darauf erschien Rafer LaMott, der soeben in ein braunkohlefarbenes Sportsakko schlüpfte. Er war Afroamerikaner, etwa Mitte Vierzig, gut einsachtzig groß, hatte einen karamelfarbenen Teint, kurzes schwarzes Haar und faszinierende haselnußbraune Augen. Bis auf einen schmalen Schnurrbart war er glattrasiert. Die Falten auf seiner Stirn ähnelten parallel verlaufenden Narben in feinem Leder. Das Sakko über seiner schwarzen Gabardinehose sah aus, als wäre es aus Kaschmir. Sein Hemd war blaßbeige und die Krawatte von sanftem Braun mit einem Muster aus schwarzen Büroklammern, die in diagonalen Reihen auf und ab verliefen.
Er hielt meine Karte in der Hand und las in leicht hochnäsigem Tonfall die darauf abgedruckten Daten ab. »Kinsey Millhone, Privatdetektivin aus Santa Teresa, Kalifornien. Was kann ich für Sie tun?« Ich spürte ein Prickeln im Nacken. Rafers Gesichtsausdruck war unverbindlich. Genaugenommen war er nicht unhöflich, aber er war alles andere als freundlich, und ich merkte seiner Art an, dass er mir keine große Hilfe sein würde. Ich zeigte ein auf Außenwirkung angelegtes Lächeln ohne
jede Aufrichtigkeit oder Wärme. »Selma Newquist hat mich engagiert. Sie hat ein paar Fragen in bezug auf Tom.«
Er warf mir einen raschen Blick zu und schritt dann durch die Klappe am einen Ende des Tresens. »Ich habe einen Termin, aber Sie können mit mir hinausgehen. Was für Fragen denn?«
Mir blieb nichts anderes übrig, als neben ihm herzutrotten, während er den Flur entlang auf einen Hinterausgang zuging. »Sie sagt, er habe sich über irgend etwas den Kopf zerbrochen. Sie will wissen, was das war.«
Er stieß die Tür auf und ging hindurch. Sein Schritt wurde immer schneller, was mich auf seine wachsende Erregung schließen ließ. Ich erwischte die Tür gerade noch, bevor sie zufiel, und ging direkt hinter ihm hinaus. Ich mußte mein Tempo verdoppeln, um mit ihm Schritt zu halten. Als er die Stufen hinabstieg, nahm er seine Autoschlüssel aus der Jackentasche.
Eilig schritt er über den Parkplatz und hielt erst inne, als er an einem unauffälligen weißen Kleinwagen angelangt war und Anstalten machte, ihn aufzuschließen. Während er die Fahrertür öffnete, wandte er sich um und
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