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Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Titel: Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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schnell schlecht wird. Die Einzelheiten hatten etwas Flaches und Abruptes an sich... Tom Newquist gestorben... sein Leben ordentlich verpackt; Anfang, Mitte und Ende. Unter dem Totenschein lag die Kopie einer handgeschriebenen Notiz, die offenbar von dem Officer der Highway Patrol verfaßt worden war, der Tom in seinem Wagen gefunden hatte.
    Ca. 21.50 Uhr 2/3 Krankenwagenruf an Stelle 11,5 km außerhalb auf Highway 395. Pers. in Pickup, an Straßenrand geparkt. Beginn der Wiederbelebungsmaßnahmen @ 22.00 Uhr. Notarzt aus Nota Lake übernimmt @ ca. 22.15 Uhr. Pers. bei Eintreffen in Notaufnahme Nota Lake tot. Leichenbeschauer verständigt.
    Die Notiz war mit »J. Tennyson« unterzeichnet. Nun folgte der Autopsiebericht: drei maschinengeschriebene Seiten, deren Inhalt dem entsprach, was Trey Kirchner mir erzählt hatte.
    Ich hatte gehofft, die Erklärung möge eindeutig sein und besagen, dass sich Tom Newquist im Endstadium einer tödlichen Krankheit befunden hatte und seine Besorgnis ganz einfach von einer Todesahnung herrührte. Doch dies war nicht der Fall. Wenn Seimas Wahrnehmungen zutrafen und er über irgend etwas nachgrübelte, so jedenfalls nicht über eine unmittelbare Bedrohung seiner Gesundheit. Es war zwar trotzdem möglich, dass er unter Herzbeschwerden gelitten hatte - Anginaschmerzen, Rhythmusstörungen oder Atemnot bei Anstrengung. Wenn ja, so hatte er womöglich die Schwere seiner Symptome gegen die Konsequenzen eines Arztbesuchs abgewogen. Tom Newquist hatte vielleicht schon genug vom Tod gesehen, um den Prozeß philosophisch zu betrachten. Vielleicht hatte er größere Angst vor medizinischen Maßnahmen als vor seinem möglichen Tod. Ich legte den Aktendeckel auf den Beifahrersitz und ließ den Motor an. Ich wußte nicht genau, wo ich weiterforschen sollte, hielt es aber für folgerichtig, als nächsten Schritt Toms Partner Rafer LaMott aufzusuchen. Ich sah auf meinen Plan von Nota Lake und fand die Außenstelle des Sheriffbüros, die im Gemeindezentrum auf der Benoit Street etwa sechs Häuserblocks weiter westlich untergebracht war. Die Sonne war durch eine dünne Wolkenschicht gedrungen. Die Luft war kühl, doch das Licht hatte etwas sehr Angenehmes. Die Häuser an der Hauptdurchgangsstraße bestanden aus Stein und Holz und hatten Dächer aus Wellblech: Tankstellen, ein Drugstore, ein Sportgeschäft und ein Friseursalon. Die unberührte Schönheit der fernen Berge zog sich wie ein Ring um die Stadt. Das digitale Thermometer einer Werbetafel zeigte eine Temperatur von sechs Grad an.
    Ich parkte gegenüber dem Gemeindezentrum von Nota Lake, das außerdem das Polizeirevier, das Landgericht und verschiedene Ämter beherbergte. Der Komplex mit den Verwaltungsbüros war in einem Gebäude untergebracht, das früher eine Schule gewesen war. Dies wußte ich, weil die Worte »Nota Lake Grundschule« in Blockbuchstaben in den Architrav gemeißelt waren. Ich hätte schwören können, dass ich noch den schwachen Abdruck von Hexen und Kürbissen aus Transparentpapier erkannte, die einst mit Klebeband an den Fenstern gehangen hatten - die Geister vergangener Halloween-Feiern. Ich für meinen Teil haßte Grundschulen, da ich seinerzeit mit einer seltsamen Kombination aus Schüchternheit und Aufsässigkeit geschlagen war. Die Schule war ein Minenfeld ungeschriebener Regeln, die offenbar alle außer mir nachvollziehen und akzeptieren konnten. Meine Eltern waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich fünf war, und so kam mir die Schule wie die Fortführung ebendieser Gemeinheit und eben-dieses Verrats vor. Ich neigte dazu, mich ohne Grund zu übergeben, was mich weder beim Hausmeister noch bei den Klassenkameraden in meiner Nähe beliebt machte. Ich kann mich heute noch an das Gefühl gerade ausgestoßener, heißer Säfte erinnern, die sich in meinem Schoß sammelten, während rechts und links von mir die Schüler angewidert davonstoben. Weit davon entfernt, mich zu schämen, empfand ich eine klammheimliche Befriedigung, die Macht des Opfers, das seine Rache über die Verdauung ausübt. Jedesmal wurde ich zur Schul-Krankenschwester geschickt, wo ich mich auf eine Ottomane legen konnte, bis meine Tante Gin mich holen kam. Zur Mittagszeit bat ich (bevor ich lernte, nach Belieben zu kotzen) oft darum, nach Hause gehen zu dürfen, versprach, nach S7 rechts und links zu sehen, wenn ich über die Straße ging, und nicht mit Fremden zu sprechen, auch wenn sie mir Süßigkeiten anboten. Meine Lehrer lehnten die

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