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Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Titel: Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Herausforderung, die mir bevorstand, war, auf engem Raum mit einem Gehbehinderten zusammenzuwohnen. Bei meinem Charakter macht mir drohende emotionale Klaustrophobie mehr Angst als körperliche Gefahr.
    Zwanghaft blickte ich alle paar Sekunden in den Rückspiegel. Der Lieferwagen war immer noch da. Einer der Scheinwerfer beleuchtete die Straße, der andere mich. Ich habe genug Selbstverteidigungskurse besucht, um zu wissen, dass sich Frauen von Natur aus schwer damit tun, körperliche Gefahren einzuschätzen. Wenn wir in einer dunklen Straße verfolgt werden, wissen viele von uns nicht, wann sie die Flucht ergreifen müssen. Wir warten auf eine Bestätigung dafür, dass unsere Instinkte zutreffen. Wir schrecken davor zurück, Krach zu schlagen, weil ja denkbar wäre, dass wir irrtümlicherweise Ärger befürchtet haben. Wir zerbrechen uns eher den Kopf darüber, dass wir den Kerl hinter uns beleidigen könnten, und tun lieber gar nichts, bis wir genau wissen, dass er uns wirklich überfallen will. Fordern Sie eine Frau auf, um Hilfe zu schreien, und Sie bekommen ein jämmerliches Quieken ohne Gewicht und ohne jegliche Überzeugungskraft zu hören. Seltsamerweise er- tappte ich mich dabei, dass ich genauso strukturiert war. Vielleicht war der Typ im Lieferwagen ja lediglich auf dem Heimweg, und ich fuhr zufällig genau den Weg, den er von vornherein hatte nehmen wollen. Ja, sicher doch. Falls der Fahrer des anderen Wagens mich jedoch nervlich zermürben wollte, wollte ich ihm nicht die Befriedigung einer offenkundigen Reaktion gönnen. Ich wollte nicht beschleunigen. Ich wollte nicht Fangen spielen. Ich bog noch einmal links ab und fuhr in gemessenem Tempo an den Häusern vorbei. Vor mir, kurz vor der Kreuzung, lag das Gemeindezentrum von Nota Lake mit dem Sheriffbüro. Daneben befand sich die Feuerwehr und neben dieser das Polizeirevier. Ich sah die Außenbeleuchtung, war mir aber gar nicht sicher, ob das Revier so kurz vor Mitternacht überhaupt noch besetzt war. Langsam kam ich zum Stehen, ließ aber die Scheinwerfer brennen und den Motor weiterlaufen. Der Lieferwagen hielt neben mir an, und der Fahrer wandte sich wie zuvor zur Seite, um mich anzustarren. Ich hätte schwören können, dass ein Grinsen durch den rotumrandeten Strickmund drang. Der Fahrer machte keine weitere Bewegung, und nach einem spannungsgeladenen Moment fuhr er weiter. Ich sah nach dem hinteren Nummernschild, doch es war mit Klebeband abgedeckt, und man konnte keine Ziffern erkennen. Der Lieferwagen wurde schneller, bog an der Kreuzung nach links ab und verschwand aus meinem Blickfeld. Ich merkte, wie ich durch den Adrenalinstoß innerlich zu glühen begann.
    Ich wartete volle fünf Minuten, die mir allerdings wie eine Ewigkeit vorkamen. Ich musterte die Straße auf allen Seiten und reckte den Hals, um die Gegend dahinter abzusuchen, falls sich jemand zu Fuß näherte. Ich hatte Angst, den Motor auszustellen, Angst, ich könnte den Wagen dann nicht wieder anlassen. Ich schob mir die Hände zwischen die Knie, um meine eiskalten Finger zu wärmen. Das Gefühl der Beklommenheit war so handfest wie ein Fieberanfall und umfing meinen ganzen Körper. Erneut bemerkte ich Scheinwerfer hinter mir, und als ich in den Rückspiegel blickte, sah ich ein Fahrzeug langsam um die Ecke biegen. Ich stieß einen kehligen Laut aus und lehnte mich auf die Hupe. Ein schrilles Jaulen drang durch die Nacht. Das andere Fahrzeug kam neben mir zum Stehen. Jetzt sah ich, dass es James Tennyson, der Mann von der Highway Patrol, in seinem Einsatzwagen war. Er erkannte mich und kurbelte das Fenster auf der Fahrerseite herunter. »Alles in Ordnung?« fragte er mit lautlosen Mundbewegungen.
      Ich drückte einen Knopf am Armaturenbrett und ließ das Fenster auf der Beifahrerseite meines Wagens herunter.
    »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« fragte er.
    »Jemand ist mir gefolgt. Mir ist nichts Besseres eingefallen, als hierherzufahren und zu hupen.«
    »Warten Sie kurz«, sagte er. Er entdeckte eine Parklücke auf der anderen Straßenseite und fuhr seinen Streifenwagen hinüber zu dem freien Platz am Straßenrand. Er ließ den Wagen laufen, während er die Straße überquerte. Dann kam er zu meiner Seite herüber und beugte sich herunter, damit wir uns unterhalten konnten. »Was ist denn passiert?«
    Ich schilderte ihm die Ereignisse und bemühte mich, weder etwas zu verzerren noch zu übertreiben. Ich wußte nicht, wie ich ihm die Unruhe vermitteln konnte, die ich empfunden

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