Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht
Striemen.«
Selma hielt inne, um sich eine Zigarette anzuzünden, während sie die Liste studierte. »Wie wär's, wenn ich sie an Tisch dreizehn setzen würde?«
Phyllis zog ein trübseliges Gesicht. »Na ja, zur Not. Ich meine, es ist langweilig, aber nicht schlecht. Zumindest wäre Ann Carol dann sicher vor einem Angriff mit fliegenden Hefebrötchen.«
Selma sah zu mir auf. »Morgen, Kinsey. Was haben Sie heute vor? Sind Sie hier drinnen fertig?«
»Fast«, antwortete ich. Ich sah zu Phyllis hinüber und fragte mich, ob wir das Thema in ihrer Gegenwart besprechen sollten.
Selma bemerkte mein Zögern. »Keine Sorge. Schießen Sie los. Sie brauchen ihretwegen keine Bedenken zu haben. Sie weiß Bescheid.«
»Ich tappe immer noch im dunkeln. Nicht, dass ich an Ihrer Geschichte zweifeln würde. Ich bin mir sicher, dass irgend etwas Tom Kopfzerbrechen bereitet hat. Man hat mir mehrfach erzählt, dass er nicht mehr der alte war. Ich kann nur keinen einzigen Hinweis darauf finden, was ihn beunruhigt hat. Offen gestanden bin ich immer noch genauso schlau wie am Anfang. Es ist frustrierend.«
Ich sah, wie sich die Enttäuschung über Seimas Miene legte. »Es sind ja erst zwei Tage«, murmelte sie. Phyllis runzelte leicht die Stirn und strich einen Stapel Blätter glatt, der vor ihr auf dem Tisch lag. Ich hoffte, sie hätte etwas beizusteuern, doch als sie nichts sagte, fuhr ich fort.
»Tja, das stimmt«, gab ich zu. »Und es besteht immer die Hoffnung, dass sich ganz unerwartet etwas ergibt, aber bis jetzt habe ich nichts gefunden. Ich wollte es Sie nur wissen lassen. Ich kann Ihnen eine Zusammenfassung geben, wenn Sie einen Augenblick Zeit haben.«
»Sie können ja auch nicht mehr als Ihr Bestes geben«, sagte Selma. »Der Kaffee ist noch heiß, wenn Sie welchen wollen. Ich habe Ihnen neben dem Milchkännchen dort drüben einen Becher hingestellt.«
Ich ging zur Kaffeemaschine hinüber und schenkte mir eine Tasse ein. Bevor ich die Milch in meinen Kaffee goß, roch ich kurz daran. Ich überlegte, ob ich die Geschichte mit dem Lieferwagen erwähnen sollte, sah aber keinen Sinn darin. Die beiden hatten sich inzwischen wieder an ihre Arbeit gemacht, und ich wollte weder ihre Besorgnis noch ihre Spekulationen über mich ergehen lassen. Ich hätte zwar ein bißchen Mitgefühl einheimsen können, aber wozu?
»Bis gleich«, sagte ich. Die beiden hoben nicht einmal die Köpfe. Ich zuckte mit den Achseln und ging in Toms Arbeitszimmer. In der Tür blieb ich stehen, schlürfte meinen Kaffee und starrte auf die Unordnung, die nach wie vor den Raum beherrschte. Ich hatte mich zwar auf ordentliche Weise durch das Chaos gearbeitet, aber das Ergebnis wirkte bruchstückhaft. Viele Aufgaben waren nur halb getan, und die, die ich vollständig erledigt hatte, hatten keinerlei greifbare Informationen erbracht. Ich war einfach davon ausgegangen, dass Tom Newquist irgendwo eine Spur hinterlassen haben mußte, wenn er nach etwas Speziellem forschte. Zahlreiche Papiere verschiedenster Art, die ich nicht einzuordnen wußte, lagen herum. Viele davon hatte ich in einer fürs bloße Auge nicht erkennbaren Anordnung auf dem Schreibtisch gestapelt. Nun war ich am Bodensatz angekommen, und es war schwer zu entscheiden, wo ich weitermachen sollte. Ich hatte jegliche Begeisterung für das Projekt verloren, das mir schmutzig und sinnlos vorkam. An der einen Wand hatte ich sechs Pappschachteln aufgereiht. Darin befanden sich die Unterlagen, die ich beschriftet und sortiert hatte: alte Einkommensteuererklärungen, Garantiescheine, Versicherungspolicen, Vermögensbewertungen, mehrere Belege der Versorgungsbetriebe, Telefonrechnungen und Kreditkartenquittungen. Immer noch keine Spur von seinen Arbeitsnotizen, aber vielleicht hatte er sie ja im Büro liegenlassen. Ich nahm mir vor, Rafer danach zu fragen. Ich stellte meinen Becher auf ein leeres Regalbrett, faltete eine neue Pappschachtel zusammen und begann Toms Schreibtisch auszuräumen. Ohne klares Ziel, sondern nur um Platz zu schaffen, legte ich Papiere in die Schachtel. Schließlich war ich als Ermittlerin hier, nicht als hauseigene Putzfrau. Nachdem ich den Schreibtisch ausgeräumt hatte, war mir wohler. Zum Beispiel konnte ich nun sehen, dass Toms Schreibtischauflage voller Kritzeleien war: Schnörkel, Telefonnummern, etwas, das nach Aktenzeichen von Fällen aussah, Comic-Hunde und -Katzen in verschiedenen Posen, Termine, Namen und Adressen sowie Zeichnungen von Autos, denen Flammen aus dem
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