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Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Titel: Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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einer der Schaukeln saß. Sie hatte den Sitz seitwärts gedreht, und die Ketten bildeten ein verzerrtes X auf ihrer Brusthöhe. Als sie die Füße hob, lösten sich die Ketten voneinander, und ihre Beine wurden erst in die eine, dann in die andere Richtung gewirbelt. Sie setzte die Fußspitzen hinten auf und verharrte so einen Moment. Dann stieß sie sich ab. Ich sah ihr zu, wie sie die Beine streckte und wieder anzog, was sie höher und höher schwingen ließ. Ich dachte, mein Näherkommen würde ihr Spiel unterbrechen, doch sie schaukelte weiter. Ihre Miene war finster und ihr Blick auf mich fixiert. »Aufgepaßt!« rief sie und glitt in ihrem Schwung nach vorne aus der Schaukel. Sie schwebte kurz und landete dann mit den Füßen direkt nebeneinander im Sand, die Arme über den Kopf gereckt wie nach einem Abstieg vom Pferd.
    »Bravo!«
    »Können Sie das auch?« »Sicher.«
    »Vormachen.«
    Mein Gott, was tue ich nicht alles von Berufs wegen, dachte ich insgeheim. Ich bin eine hemmungslose Schleimerin, wenn es um Informationen geht. Ich nahm ihren Platz auf der Schaukel ein und stemmte mich wie sie nach hinten, bis ich auf Zehenspitzen stand. Ich hielt mich an den Ketten fest und stieß mich ab. Dann lehnte ich mich zurück, streckte die Beine aus und zog sie nach hinten, lehnte mich wieder vor und fuhr in einem wiegenden Bewegungsablauf fort, während die Flugbahn der Schaukel zunahm. Ich schwang höher und höher. Am höchsten Punkt ließ ich los und flog ebenso vorwärts, wie sie es getan hatte. Die Landung schaffte ich nicht ganz makellos, da ich zur Balance einen winzigen Schritt zur Seite treten mußte.
    »Nicht schlecht. Man braucht Übung«, sagte sie nachsichtig. »Gehen wir doch ein bißchen spazieren. Haben Sie Ihren Schirm dabei?«
    »Es regnet ja nicht.«
      Sie schob ihre Kapuze zurück und sah nach oben. »Aber bald. Hier. Sie können meinen mitbenutzen.«
    Sie spannte ihren Schirm auf, ein weiter schwarzer Baldachin über unseren Köpfen, während wir losmarschierten. Wir hielten den Schritt gemeinsam und waren so gezwungen, Schulter an Schulter zu gehen. Aus der Nähe roch sie nach Zigaretten, doch sie zündete sich in meiner Gegenwart keine einzige an. Ich schätzte sie auf Ende Vierzig. Sie hatte ein kantiges Gesicht, trug eine übergroße Brille mit einer eckigen roten Fassung und hatte schulterlanges blondes Haar. Ihre Augen waren von einem warmen Braun, und ihr breiter Mund dehnte sich zu einer Reihe von Falten, wenn sie lachte. Sie war grobknochig und hochgewachsen und hatte eine Schuhgröße, die sie wahrscheinlich zwang, im Versandhandel einzukaufen.
    »Arbeiten Sie heute nicht?« fragte ich.
    »Ich habe mir frei genommen.«
    »Darf ich fragen, warum?«
    »Sie dürfen fragen, was Sie wollen. Glauben Sie mir, ich bin geübt darin, Antworten zu umgehen, wenn mir die Fragen nicht passen. Im Juni werde ich fünfzig. Das Altern bereitet mir kein Kopfzerbrechen, aber es bringt einen dazu, einen langen, kritischen Blick auf sein Leben zu werfen. Auf einmal paßt vieles nicht mehr zusammen. Ich weiß nicht mehr, was ich tue oder warum ich es tue.«
    »Haben Sie Familie hier?«
    »Nicht mehr. Ich bin in Indiana aufgewachsen, in der Nähe von Evansville. Meine Eltern sind beide tot - mein Vater seit 1976, meine Mutter seit letztem Jahr. Ich habe zwei Brüder und eine Schwester. Bei einem meiner Brüder, demjenigen, der hier gewohnt hat, wurde eine seltene Form der Leukämie diagnostiziert, und er war binnen eines halben Jahres tot. Mein älterer Bruder kam mit zwölf Jahren bei einem Bootsunglück ums Leben. Und meine Schwester starb mit Anfang Zwanzig an einer verpfuschten Abtreibung. Es ist ein sehr seltsames Gefühl, ganz allein draußen an der Front zu stehen.« »Haben Sie Kinder?«
     Sie schüttelte den Kopf. »Nein, und das ist noch etwas, das ich in Frage stelle. Ich meine, jetzt ist es viel zu spät, aber ich grüble darüber nach. Nicht, dass ich mir je Kinder gewünscht hätte. Ich kenne mich selbst gut genug, um zu wissen, dass ich eine miserable Mutter wäre, aber momentan frage ich mich, ob ich es anders hätte machen sollen. Und Sie? Haben Sie Kinder?«
    »Nein. Ich war zweimal verheiratet und bin zweimal geschieden, beide Male, als ich noch keine Dreißig war. Damals war ich noch nicht weit genug, um Kinder zu bekommen. Ich war nicht einmal weit genug für eine Ehe, aber woher hätte ich das wissen sollen? Mein gegenwärtiger Lebensstil macht Häuslichkeit gewissermaßen unmöglich,

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