Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
arbeitet er dort Teilzeit im Austausch gegen die Miete, eine Behauptung, die der Besitzer im Großen und Ganzen bestätigt hat. Unterdessen hat Bobbi den Kerl überprüft, und er hat eine ellenlange Vorstrafenliste — Festnahmen und Verurteilungen, die bis 1980 zurückreichen.«
»Weswegen?«
»In erster Linie Kleinkram — umgebracht hat er keinen.«
»Da bin ich aber erleichtert«, sagte ich.
»Mal sehen, was wir da haben — mutwillige Gefährdung anderer, fahrlässige Körperverletzung, Diebstahl, Entgegennahme von Diebesgut, grober Unfug und der Versuch, aus einer offenen Vollzugsanstalt zu fliehen, in der er eine neunzigtägige Strafe absaß, weil er einem Polizisten einen falschen Namen genannt hatte. Der Typ ist nicht besonders schlau, aber beharrlich.«
»Irgendwelche offen stehenden Haftbefehle?«
»Nada. Im Moment ist er sauber.«
»Jammerschade. Es wäre schön gewesen, wenn ihr ihn eingebuchtet hättet, dann hätte ich mit ihm reden können.«
»Das wirst du sowieso nicht lassen können. Das Beste kommt nämlich noch. Bist du bereit? Willst du wissen, wer sein Bruder ist? Da kommst du nie drauf.«
»Ich geb’s auf.«
»Benny Quintero.«
Ich merkte, wie ich blinzelte. »Du machst Witze.«
»Es ist die Wahrheit.«
»Wie hast du denn das herausgefunden?«
»Hab’ ich gar nicht. Das war Bobbi. Offenbar war Benny auf der Zulassung des Motorrads als Besitzer eingetragen, also hat sie Duffy auf Herz und Nieren durchleuchtet. Den Rest der Story hat sie vergessen, aber an Bennys Namen konnte sie sich erinnern. Duffy behauptet, sie seien Halbbrüder. Seine Mom war zuerst mit Bennys Dad verheiratet, aber der ist im Zweiten Weltkrieg gefallen. Zehn Jahre später ist sie nach Kentucky gezogen, wo sie Duffys Dad geheiratet hat. Im Jahr darauf kam er zur Welt; zwischen den beiden Jungen bestand ein Altersunterschied von fünfzehn Jahren. Carlin war dreizehn, als Benny nach Kalifornien kam und umgebracht wurde.«
»Ist er deshalb hier?«
»Das müsstest du ihn selbst fragen. Ich glaube, es liegt mehr oder weniger auf der Hand — es sei denn, du glaubst an Zufall.«
»Tu ich nicht.«
»Ich auch nicht.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Tja, weit kann er zu Fuß nicht gekommen sein.«
»Er könnte ein Auto geklaut haben.«
»Ist natürlich immer möglich, liegt aber außerhalb seines Fachgebiets. Falls du dich auf die Suche nach ihm machst, nimm unbedingt jemanden mit. Mir gefällt der Gedanke nicht, dass du versuchst, ihn allein zu treffen.«
»Willst du mitkommen?«
»Sicher, gern. Moment mal.« Er legte eine Hand über die Sprechmuschel. Camilla musste ganz in der Nähe gelauert und jedes Wort mitgehört haben, weil sie seine Idee ablehnte, noch bevor er überhaupt dazu kam zu fragen. Er nahm die Hand von der Sprechmuschel und sagte zu mir: »Heute abend kann ich nicht, aber wie wär’s mit Montag? Haut das hin?«
»Klingt super.«
»Rufst du mich an?«
»Natürlich.«
»Bis dann«, sagte er.
Sowie er aufgelegt hatte, griff ich meine Tasche und ging zur Tür hinaus. Ich würde nicht bis Montag warten. So was von albern. Duffy konnte bis dahin über alle Berge sein, und das durfte ich nicht riskieren. Auf dem Weg hielt ich an, um zu tanken. Die Gärtnerei lag etwa zehn Minuten entfernt, doch die Nadel an meiner Benzinanzeige zeigte bereits auf »Leer«, und ich wusste ja nicht, wie viel ich noch fahren musste, um ihn zu erwischen.
Es war zwanzig vor neun, als ich endlich in den Parkplatz bei der Gärtnerei einbog. Das Schild davor besagte, dass der Laden an Wochenenden bis neun Uhr geöffnet hatte. Das Anwesen musste etwa vier bis sechs Hektar umfassen, und das Grundstück lag eingequetscht zwischen dem Highway und der Straße, in die ich eingebogen war. Das Gartencenter lag direkt vor mir, ein flaches weißes Gebäude aus Glas und Metall, das zahlreiche Pflanzen für Beete, Außenbepflanzung und Innenräume barg; außerdem Samen, Gartenratgeber, Blumenzwiebeln, Kräuter, Töpfe und Geschenke »für besondere Menschen mit einem Händchen für Pflanzen«.
Zur Rechten, hinter einem Maschendrahtzaun, konnte ich eine Reihe von Brunnen und Statuen sehen, die zum Kauf angeboten wurden, daneben Pflanzgefäße aus Keramik, Plastik und Redwood sowie große Plastiksäcke mit Düngemittel, Mulch, Gartenchemikalien und Bodenzusätzen. Zur Linken erstreckten sich mehrere Gewächshäuser wie Milchglasbaracken und dahinter reihenweise Bäume, ein struppiger Schattenwald, der sich nach hinten in Richtung
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