Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
zur Linken, hinter der sich möglicherweise ein Wandschrank verbarg. Ich konnte mattes Licht vom oberen Ende der Treppe herabscheinen sehen. Ich trat hinein und schloss leise die Tür hinter mir. Dann stieg ich die Treppe hinauf. Ich hatte eigentlich nicht vor, mich anzuschleichen, aber ich merkte, dass ich auf die Außenkanten der Stufen trat, wo die Wahrscheinlichkeit, dass sie knarrten, geringer war.
Oben befand sich ein Treppenabsatz von etwa zwei auf zwei Metern mit einer an der Wand befestigten Leiter, die vermutlich aufs Dach führte. Die einzige Tür auf dem Treppenabsatz war nur angelehnt, und aus dem Raum dahinter drang Licht. Ich stieß die Tür auf. Der Raum war riesig und erstreckte sich weit nach hinten ins Dunkel, so dass er leicht Länge und Breite der vier großen unteren Räume umfasste. Der Fußboden bestand aus Linoleum, das abgetreten und voller Stellen war, wo rußige Fußspuren dauerhaft die Farbe verändert hatten. An den Wänden befanden sich zahlreiche Steckdosen und fünf oder sechs große, blanke Flächen. Im Raum hing jene trockene Hitze, die auf schlechte Isolierung schließen ließ. Die Wände waren aus unbearbeitetem Sperrholz. Vor mir standen ein einfacher Holztisch, zwei Dutzend Klappstühle und eine große Mülltonne voller Abfall. Ich hatte mir ausgemalt, dass Kisten mit Wein und Bier sich hier an den Wänden stapelten, doch da war nichts dergleichen. Was hatte ich mir denn vorgestellt? Drogen, illegale Einwanderer, Kinderpornos, Prostitution? Wenigstens eine alte Musikbox, vielleicht defektes und veraltetes Restaurantzubehör, Überreste von Silvester und Dekorationen für den St.-Patricks-Tag, die von lange zurückliegenden Feierlichkeiten stammten. Das hier war langweilig.
Ich ging durch den Raum, wobei ich darauf achtete, auf den Fußballen zu gehen. Ich wollte nicht, dass sich unten irgendjemand fragte, wer da oben herumtrampelte. Immer noch nichts Interessantes. Ich ließ die Lichter so, wie sie gewesen waren, und schlich mich die Treppe wieder hinunter. Erneut legte ich vorsichtig die Hand um den Türknauf und drehte ihn lautlos. Der Flur schien mir leer zu sein. Ich ging zur Tür hinaus und dämpfte mit der Handfläche das Klicken, als sie zuschnappte.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Tim stand links von der Tür im Dunkeln.
Ich kreischte, warf die Hände in die Höhe, so dass meine Umhängetasche davonflog und ihr Inhalt sich beim Aufprall über den Fußboden verteilte. »SCHEISSE!«
Tim lachte. »Tut mir Leid. Ich dachte, Sie hätten mich gesehen. Was wollten Sie denn?« Er war lässig gekleidet — Jeans und ein Strickpullover mit V-Ausschnitt.
»Gar nichts. Ich habe die Tür nur aus Versehen aufgemacht«, erklärte ich. Ich kniete mich hin und versuchte die Sachen aufzusammeln, die überall verstreut lagen. »Scottie hat mir gesagt, dass Sie mich sprechen wollen. Ich habe es in Ihrem Büro versucht, aber da waren Sie nicht. Die Tür hier war unversperrt. Ich habe am Knauf gedreht, sie ging auf, und da bin ich einfach raufgegangen. Ich dachte, Sie könnten vielleicht oben sein, also habe ich laut >juhu< gerufen.«
»Tatsächlich. Ich habe Sie nicht gehört.«
Er bückte sich und richtete meine Tasche auf. Dann begann er, ihren Inhalt wieder hineinzuwerfen, während ich fasziniert zusah. Zum Glück hatte ich keine Pistole dabei, und meine Dietriche schien er nicht zu registrieren. »Ich weiß nicht, wie ihr Frauen das schafft«, sagte er. »Schauen Sie sich nur dieses ganze Zeug an. Was ist denn das?«
»Eine Reisezahnbürste. Ich bin ein bisschen fanatisch.«
Er schmunzelte. »Und das?« Er hielt ein Plastiketui hoch.
»Tampons.«
Als er meine Brieftasche aufhob, klappte sie auf, und mein Führerschein war zu sehen. Beiläufig betrachtete er ihn. Die Kopie meiner Detektivlizenz steckte im Fach gegenüber, aber falls er sie bemerkt hatte, so ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Er warf die Brieftasche hinein. Vermutlich hatte Shack mittlerweile ohnehin meine Tarnung auffliegen lassen.
»Lassen Sie mich das machen«, sagte ich, froh, mich zu bewegen, damit er nicht sah, wie meine Hände zitterten. Als wir alles aufgesammelt hatten, erhob ich mich. »Danke.«
»Wollen Sie sehen, was dort oben ist? Los, kommen Sie. Ich zeig’s Ihnen.«
»Nein, danke. Nicht nötig. Ich habe gerade einen Blick in den Raum geworfen. Ich hatte gehofft, Sie hätten die alte Musikbox noch.«
»Leider nein. Die habe ich verkauft, kurz nachdem wir das Lokal übernommen haben.
Weitere Kostenlose Bücher