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Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Titel: Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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kriege sogar ich schweißige Hände.« Als ich auf den Parkplatz einbog, hatten wir uns in tiefe Empörung hineingesteigert. Es wunderte mich, dass er überhaupt noch dazu bereit war, den Termin wahrzunehmen. Ich saß im Wartezimmer des Zahnarzts, nachdem Henrys Name aufgerufen worden war. Abgesehen von der Frau am Empfang hatte ich den Raum für mich allein, was ich leicht Besorgnis erregend fand. Warum hatte der Zahnarzt nur einen einzigen Patienten? Ich malte mir Betrug gegenüber der Krankenversicherung aus, Phantompatienten, doppelte Rechnungsstellung, Gebühren für Behandlungen, die nie vorgenommen werden würden. Ein ganz normaler Tag im Leben des Dr. Zahnpasta, krimineller Schwindler und Betrüger mit ausgeprägt sadistischer Ader. Allerdings hielt ich ihm zugute, dass er die neuesten Ausgaben der besten Zeitschriften dahatte.
    Aus dem Nebenraum — über das Blubbern des Aquariums hinweg, das die Schreie übertönen soll — hörte ich, wie ein Hochgeschwindigkeitsbohrer durch den Zahnschmelz direkt in den pulsierenden Nerv darunter bohrte. Meine Finger begannen, an den Seiten von People festzukleben, und hinterließen eine Reihe feuchter, runder Abdrücke. Hin und wieder vernahm ich Henrys erstickten Protest, ein Geräusch, das an Zuckungen und massenhaft hervorquellendes Blut denken ließ. Allein der Gedanke an seine Leiden brachte mich zum Hyperventilieren. Schließlich wurde mir dermaßen schwindlig, dass ich hinausgehen musste und mit dem Kopf zwischen den Knien auf der Miniveranda saß. Endlich kam Henry wieder. Er wirkte geschlagen, aber erleichtert und betastete seine taube Lippe, um festzustellen, ob er sich selbst vollsabberte. Um ihn auf der Heimfahrt abzulenken, erzählte ich ihm von dem Pappkarton, den Umständen, unter denen er aufgetaucht war, Mickeys Paranoia und dem Pseudonym »John Russell« sowie meinem Abenteuer als Einbrecherin. Die Passage mit dem Hund gefiel ihm, nachdem er mich schon mehrmals bedrängt hatte, mir selbst einen zuzulegen. Wir führten das gewohnte kurze Streitgespräch über mich und mein Verhältnis zu Haustieren.
    Dann sagte er: »Erzähl mal ein bisschen über deinen Ex. Du hast gesagt, er war Polizist, aber das ist ja nicht alles.«
    »Frag nicht.«
    »Aber was glaubst du, was es bedeutet, dass er mit seinen Lagergebühren im Rückstand war?«
    »Woher soll ich das wissen? Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesprochen«, erwiderte ich gereizt.
    »Sei nicht so, Kinsey. Es nervt mich, wenn du mit Informationen knauserst. Ich will über ihn Bescheid wissen.«
    »Es ist zu kompliziert zu erklären. Vielleicht erzähle ich es dir später, wenn ich mir darüber im Klaren bin.«
    »Willst du der Sache nachgehen?«
    »Nein.«
    »Vielleicht wurde er nachlässig beim Bezahlen seiner Rechnungen«, mutmaßte er, um mich zur Fortsetzung des Gesprächs zu nötigen.
    »Mag sein. Aber das bezweifle ich. Darin war er immer gewissenhaft.«
    »Menschen ändern sich«, meinte er und zuckte die Achseln.
    »Nein. Meiner Erfahrung nach nicht.«
    »Meiner Erfahrung nach auch nicht.«
    Wir schwiegen einen Block lang, dann fing Henry wieder an. »Und wenn er in der Patsche sitzt?«
    »Dann geschieht es ihm recht.«
    »Du würdest ihm nicht helfen?«
    »Wozu?«
    »Tja, es kann doch nicht schaden, sich mal zu erkundigen.«
    »Das mache ich garantiert nicht.«
    »Warum denn nicht? Du müsstest nur ein paar Anrufe tätigen. Was kostet das schon?«
    »Woher willst du wissen, was das kostet? Du kennst den Mann nicht einmal.«
    »Ich meine ja nur, dass du im Moment keinen Auftrag hast — zumindest, soweit ich weiß —«
    »Habe ich dich um Rat gebeten?«
    »Das war mein Eindruck«, erwiderte er. »Ich bin mir fast sicher, dass du auf Ermutigung aus warst.«
    »War ich nicht .«
    »Aha.«
    »Nein, war ich nicht. Ich bin nicht an dem Mann interessiert.«
    »Tut mir Leid. Irrtum meinerseits.«
    »Du bist der einzige Mensch in meinem Leben, dem ich diesen Scheiß durchgehen lasse.«

    Als ich wieder an meinen Schreibtisch zurückkam, war das Erste, worauf mein Blick fiel, mein Adressbuch, das bei M aufgeschlagen war. Ich schlug es zu und schob es in eine Schublade, die ich hastig zuknallte.

4

    Ich sank auf meinen Drehstuhl und versetzte dem Karton einen Tritt. Eigentlich war mir fast danach, das verdammte Ding wegzuwerfen, nur die persönlichen Papiere zu behalten und den Rest auf den Müll zu schaffen. Aber nachdem ich zwanzig Dollar dafür bezahlt hatte, konnte ich mich nicht dazu durchringen.

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