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Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Titel: Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Ich muss hirntot gewesen sein, um es nicht zu merken, es sei denn, sie erfand die ganze Geschichte, um Mickey das Alibi zu liefern, das ich ihm verweigert hatte.
    Dixie war so groß wie ich, zaunlattendürr, hatte ein langes, schmales Gesicht und einen unordentlichen Wust kastanienroten Haares, der ihr halb über den Rücken hing. Ihre Augenbrauen waren gezupft, ein fedriges Bogenpaar, das sich wie Flügel von ihrer Nasenwurzel weg ausbreitete. Ihre Augen waren dunkel umrandet, und sie trug fransige falsche Wimpern, die die Augen aus dem Gesicht hervorhoben. Meist hatte sie unter ihrem T-Shirt keinen BH an, und sie liebte Miniröcke, die so kurz waren, dass sie sich kaum hinsetzen konnte. Manchmal schwenkte sie ins andere Extrem über und trug lange Omakleider oder indisch bedruckte Langblusen über weiten Hosen.
    Ich las ihren Brief noch einmal, doch der Inhalt blieb selbstverständlich der gleiche. Sie und Mickey hatten eine Affäre gehabt. Das schien jedenfalls hinter ihrer Mitteilung zu stecken, obwohl ich es kaum glauben konnte. Er hatte nie durchblicken lassen, dass er sie überhaupt interessant fand, aber vielleicht hatte er das doch, und ich war nur zu begriffstutzig gewesen, um es zu kapieren. Wie konnte sie dagestanden und mit mir geplaudert haben, wenn die beiden es hinter meinem Rücken miteinander trieben? Andererseits widersprach der Gedanke Mickeys Vorleben nicht grundsätzlich.
    Bevor wir uns zusammengetan hatten, hatte er zahlreiche Affären gehabt, aber er war schließlich Single und schlau genug, sämtlichen emotionalen Verwicklungen aus dem Weg zu gehen. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre war Sex etwas Beiläufiges, Erholsames, wahllos und ohne jede Verpflichtung. Die Frauen waren durch die Einführung der Antibabypille befreit worden, und Drogen hatten sämtliche sonstige Hemmungen beiseite gefegt. Es war die Ära der Love-ins, der psychedelischen Musik, der Aussteiger, Kriegsgegner, Körperbemalungen, Prominentenmorde, des LSD und der Gerüchte über Jugendliche, die so high gewesen waren, dass sie sich die Netzhaut verbrannt hatten, weil sie zu lang in die Sonne gestarrt hatten.
    Außerdem war es die Ära, in der sich die Polizeibehörden zu wandeln begannen. 1964 hatte der Oberste Gerichtshof im Fall Escobedo gegen Illinois ein bahnbrechendes Urteil gefällt: Die Polizei habe sich mit ihrer Weigerung, im Laufe eines Verhörs seinen Anwalt konsultieren zu lassen, einer Verletzung der sechsten Verfassungsergänzung schuldig gemacht. Zwei Jahre darauf, im Fall Miranda gegen Arizona, fällte das Oberste Gericht erneut ein Urteil zu Gunsten des Klägers, indem es einen Bruch der in der sechsten Verfassungsergänzung niedergelegten Rechte konstatierte. Von da an vollzog sich ein Wandel in der Polizei, und das Image von Dirty Harry wurde zumindest durch scheinbare Zurückhaltung ersetzt.
    Mickey rieb sich an den Grenzen, die die Politik setzte, und im weiteren Rahmen an gesetzlichen Einschränkungen, die er als störend für seine Tätigkeit empfand. Er war ein altmodischer Cop. Er identifizierte sich mit den Verbrechensopfern. In seinen Augen waren ihre Ansprüche die einzigen, die zählten. Sollte doch der Gesetzesbrecher sehen, wo er blieb. Mickey war es zuwider, die Schuldigen beschützen zu müssen, und er hatte kein Verständnis für die so genannten Rechte der Verhafteten. Mitunter vermutete ich, dass seine Haltung ein Destillat aus den zahllosen Groschenromanen war, die er in seiner Jugend verschlungen hatte. Bitte glauben Sie mir, dass ich nichts davon bemerkte, als wir uns kennen lernten. Ich war nicht nur hingerissen von seiner Art, sondern bewunderte mit großen Augen das, was ich für seine Weltgewandtheit hielt. Ich glaube, dass nach Mickeys Auffassung gewisse Regeln und Vorschriften für ihn einfach nicht galten. Er agierte außerhalb der Maßstäbe, die die meisten anderen Cops schließlich anerkannten. Mickey war es gewohnt, seinen Kopf durchzusetzen, er hatte Erfahrung mit den von ihm so bezeichneten »gewissen altehrwürdigen Methoden, einen Verdächtigen dazu zu überreden, sich mit belastenden Aussagen erkenntlich zu zeigen«. Dies sagte Mickey immer in einem Ton, der alle zum Lachen brachte.
    Von seinen Kollegen wurde Mickey verehrt, und bis zu jenem März beschränkten sich seine Konflikte mit den Vorgesetzten auf ein paar kleinere Übertretungen. Er lieferte seine Berichte zu spät ab und war gelegentlich aufsässig, obwohl er einen Instinkt dafür zu haben schien,

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