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Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Titel: Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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wie weit er gehen konnte. Er war Gegenstand zweier Beschwerden von Bürgern geworden: einmal wegen beleidigender Äußerungen und einmal wegen übertriebener Gewaltanwendung. In beiden Fällen ermittelte seine Dienststelle und kam zu einem für ihn günstigen Ergebnis. Trotzdem sah es nicht gut aus. Er lebte eine merkwürdige Mischung aus Abseitigem und Konventionellem. In seinem Privatleben war er über die Maßen ehrlich — bei Steuern, Rechnungen und privaten Zahlungsverpflichtungen. Er war seinen Freunden gegenüber loyal und behandelte andere Menschen mit Umsicht. Außerdem hielt er sich an seine Versprechen — außer (offenbar) mir gegenüber. Er missbrauchte nie das Vertrauen eines anderen, verpfiff nie einen Kumpel oder Kollegen. Unter Männern wurde er bewundert. Frauen himmelten ihn auf eine Art an, die schon an Heldenverehrung grenzte. Ich weiß es, weil ich es selbst tat und seine Nonkonformität zu etwas Lobenswertem hochstilisierte, statt sie als tendenziell gefährlich einzuordnen.
    Rückblickend erkenne ich, dass ich die Wahrheit über ihn gar nicht wissen wollte. Ich hatte im April 1971 meinen Abschluss an der Polizeischule gemacht und wurde von der Polizei Santa Teresa eingestellt, sobald ich im Mai einundzwanzig wurde. Ich hatte Mickey im November zuvor kennen gelernt und war geblendet von dem Bild, das er von sich zeichnete: abgebrüht, rau, zynisch und erfahren. In den nächsten Monaten verliebten wir uns ineinander, und im August waren wir verheiratet — all das, bevor einer von uns begriffen hätte, was den anderen ausmachte. Nachdem ich mich auf ihn eingelassen hatte, war ich entschlossen, ihn als den Mann zu sehen, als den ich ihn mir wünschte. Es war mir ein Bedürfnis zu glauben. Ich sah ihn als Idol, also akzeptierte ich seine Version der Ereignisse, selbst wenn der gesunde Menschenverstand vermuten ließ, dass er die Tatsachen verfälschte.
    Im Herbst 1971, nachdem Mickey wieder der Abteilung für Einbruch und Diebstahl zugeordnet worden war, entwickelte sich etwas, das beschönigend als »persönliche Differenzen« mit Con Dolan, dem Chef der Abteilung für Eigentumsdelikte, bezeichnet wurde. Lieutenant Dolan war ein Autokrat und Prinzipienreiter, was zu immer häufigeren Zusammenstößen zwischen den beiden führte. Ihre Reibereien schoben Mickeys Aufstiegswünschen einen Riegel vor.
    Sechs Monate später, im Frühjahr 1972,, nahm Mickey seinen Abschied, um weiteren Konflikten mit der Kommission für Dienstvergehen aus dem Weg zu gehen. Damals wurde wegen Totschlags im Affekt gegen ihn ermittelt, nachdem er an einer Kneipenschlägerei beteiligt gewesen war. Sein Streit mit einem Durchreisenden namens Benny Quintero endete mit dem Tod des Mannes. Das Ganze geschah am 17. März, dem St.-Patrick’s-Day, und Mickey war nicht im Dienst, sondern trank im Honky-Tonk mit ein paar Kumpeln, die seine Angaben bestätigten. Er behauptete, der Mann hätte sich betrunken, sei ausfallend geworden und hätte Drohgebärden gemacht. Micky schleppte ihn gewaltsam auf den Parkplatz, wo die beiden sich eine kurze Rangelei lieferten. Mickys Angaben zufolge hatte er den anderen ein bisschen herumgestoßen, aber lediglich als Reaktion auf den Angriff des Betrunkenen. Zeugen beschworen, dass er ihm keine Schläge versetzt hatte. Benny Quintero verließ den Schauplatz, und danach hat ihn niemand mehr gesehen, bis am nächsten Tag seine Leiche gefunden wurde, zusammengeschlagen und verdreckt am Rande des Highway 154. Die Kommission für Dienstvergehen nahm die Ermittlungen auf, und Mickeys Anwalt Mark Bethel empfahl ihm, den Mund zu halten. Da Mickey der Hauptverdächtige war und Gefahr lief, sich vor Gericht verantworten zu müssen, tat Bethel sein Möglichstes, um ihn herauszupauken. Die Kommission für Dienstvergehen kann zwar Zeugenaussagen erzwingen, darf ihre Erkenntnisse aber nicht der Staatsanwaltschaft zugänglich machen. Trotzdem konnte die Sache gravierende Folgen haben. Angesichts des dringenden Bedarfs an ehrlichen Beamten war das Polizeipräsidium entschlossen, die Angelegenheit zu verfolgen. Mickey quittierte den Dienst, um einem Verhör aus dem Weg zu gehen. Wenn er damals nicht gegangen wäre, hätte man ihn wegen Aussageverweigerung ohnehin entlassen.
    Als Mickey seine Polizeimarke, seine Dienstwaffe und sein Funkgerät abgab, schäumten seine Kollegen vor Wut. Die Dienstvorschriften verboten es seinen Vorgesetzten, eine öffentliche Erklärung abzugeben, und Mickey spielte sein Ausscheiden

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