Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
aber. Das ist jetzt schon das zweite Mal, dass ich ihn ziehe. Ich habe die Karten gemischt und ihn gezogen, sowie sie hereingekommen ist, und dann gleich noch einmal.«
»Na, dann zieh etwas anderes. Sie interessiert sich nicht dafür.«
»Erzählen Sie mir etwas über Ihre Namen«, sagte ich. »Die sind mir neu.«
»Die hat unsere Mutter erfunden«, antwortete Bel. »Wir waren sechs Mädchen, und sie hat uns alphabetisch benannt: Amelia, Belmira, Cordia, Dorothy, Edith und Faye. Cordi und ich sind als Einzige noch übrig.«
»Was ist mit Dorothy?«
»Sie kommt gleich. Sie liebt Gesellschaft.«
»Bel wird gleich anfangen, Ihnen Ihre Zukunft vorherzusagen. Ich warne Sie: Wenn sie erst einmal anfängt, kriegt man sie nicht mehr los. Ignorieren Sie sie einfach. Das mache ich auch immer. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass Sie Ihre Gefühle verletzen.«
»Hat sie aber«, erwiderte Bel matt.
»Können Sie gut wahrsagen?«
Cordia ergriff das Wort. »Nicht direkt, aber selbst ein blindes Huhn findet ab und zu ein Korn.« Sie hatte ihr Strickzeug aufgenommen und hielt es ans Licht, den Kopf leicht geneigt, während die Nadeln hinein- und wieder herauswanderten. Das schmale gestrickte Teil zog sich halb ihren Oberkörper hinab. »Ich stricke einen Kniewärmer, falls Sie sich fragen.«
Meine Tante Gin hatte mir Stricken beigebracht, als ich sechs Jahre alt war, vermutlich um mich in den frühen Abendstunden zu beschäftigen. Sie behauptete, es sei eine Fertigkeit, die Geduld und die Koordination zwischen Hand und Auge förderte. Als ich jetzt zusah, bemerkte ich, dass Cordia vor etwa sechs Reihen ein paar Maschen hatte fallen lassen. Wie kleine Matrosen, die über Bord gespült worden sind, gingen die Schlaufen im Kielwasser des Strickwerks unter, während Reihe um Reihe hinzukam. Ich wollte es gerade erwähnen, als eine große weiße Katze in der Tür erschien, die ein flaches Persergesicht hatte. Sie blieb stehen, als sie mich sah, und starrte mich mit offenem Erstaunen an. Ich hatte schon einmal so eine Katze gesehen: langhaarig, reinweiß und mit einem grünen und einem blauen Auge.
Bel lächelte, als sie sie sah. »Da ist sie ja.«
»Das ist Dorothy«, erklärte Cordia. »Wir nennen sie kurz Dort. Glauben Sie an Wiedergeburt?«
»Darüber bin ich mir nie ganz klar geworden.«
»Wir auch nicht, bis uns dieses Kätzchen über den Weg lief. Dorothy hat immer geschworen, dass sie aus dem Jenseits Kontakt zu uns halten würde. Jahrelang hatte sie uns versichert, dass sie einen Weg finden würde, um zurückzukommen. Und dann, auf einmal, bekam die Nachbarskatze genau an ihrem Todestag Junge. Das hier war das einzige Weibchen, und es sieht genauso aus wie Dort. Die weißen Haare und das eine Auge blau und das andere grün. Dieselbe Persönlichkeit, dasselbe Verhalten. Gesellig, herrisch, selbstständig.«
Bel ergriff das Wort. »Die Katze furzt sogar genau wie Dorothy. Leise, aber tödlich. Manchmal müssen wir aufstehen und den Raum verlassen.«
Ich zeigte auf das Strickzeug. »Ich glaube, Sie haben ein paar Maschen fallen lassen.« Ich beugte mich vor und berührte die abtrünnigen Schlaufen mit dem Finger. »Wenn Sie eine Häkelnadel haben, kann ich sie Ihnen hochholen.«
»Würden Sie das tun? Da wäre ich froh. Ihre Augen sind garantiert besser als meine.« Cordia beugte sich vor und fasste in ihren Strickbeutel. »Schauen wir mal, was wir da haben. Geht die?« Sie reichte mir eine J-förmige Nadel.
»Die ist ideal.« Während ich mich an die mühsame Aufgabe machte, die gefallenen Maschen durch die Reihen hinaufzuziehen, tappte die Katze zögerlich über den Fußboden und hüpfte auf meinen Schoß. Ich riss das Strickzeug in die Höhe und rief: »Hey!« Dorothy musste ungefähr zehn Kilo wiegen. Sie reckte mir ihr Hinterteil entgegen, stellte den Schwanz auf wie den Griff einer Pumpe und präsentierte ihre kleine Rosette, während sie auf der Stelle trat.
»Das macht sie sonst nie. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Sie muss Sie mögen«, sagte Belmira und deckte dabei Karten auf.
»Ist ja toll.«
»Na sowas, sehen Sie sich das mal an. Die Stabzehn, umgekehrt.« Bel legte eine Reihe aus. Sie platzierte die Stabzehn in einer unergründlichen Konfiguration auf den Tisch. Die Karte, die sie mir zugeschrieben hatte, der Schwertbube, war nun vom Mond bedeckt.
Ich machte eine Hand frei, drückte Dorothys Schwanz nach unten und hielt ihn mit dem rechten Arm dort, während ich auf die Karten
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