Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
Firma in der Gegend angestellt?«
»Das bezweifle ich. Wir sind nicht nach Referenzen gefragt worden.«
»Wie sieht’s mit Arbeitslosengeld aus? Hat er Unterstützung beantragt? Vielleicht hat er ja Anspruch auf medizinische Behandlung unter SIV.« Na klar — SIV, als wäre uns allen die Staatliche Invaliditätsversicherung so geläufig, dass wir sie nicht mal mehr ganz aussprechen müssen.
»Das kann ich Ihnen wirklich nicht beantworten. Da müssten Sie dort nachfragen.«
»Wie steht’s mit Einlagen in seinem Rentenfonds? Wurde ihm von jeder Gehaltszahlung automatisch ein Betrag für sein Sparguthaben abgezogen?«
»Ich verstehe nicht, inwiefern das von Belang sein soll«, erwiderte sie. Langsam begann sie, hellhörig zu werden und sich womöglich zu fragen, ob ich sie hereinlegen wollte.
»Das würden Sie aber, wenn Sie sähen, wie seine Rechnung ansteigt«, entgegnete ich scharf.
»Ich kann leider nicht darüber sprechen. Schon gar nicht, nachdem sich die Polizei eingeschaltet hat. Sie haben extra darauf hingewiesen. Wir sollen mit niemandem über ihn sprechen.«
»Genau wie bei uns. Wir wurden gebeten, Detective Aldo sofort zu verständigen, wenn auch nur jemand nach seiner Zimmernummer fragt.«
»Wirklich? Also, so was haben sie zu uns nicht gesagt. Vielleicht weil er nicht so lange hier gearbeitet hat.«
»Da können Sie von Glück sagen. Bei uns herrscht höchste Alarmstufe. Kannten Sie Mr. Magruder persönlich?«
»Sicher. So groß ist die Firma nicht.«
»Es geht Ihnen sicher schrecklich nahe.«
»Allerdings. Er war ein richtig netter Mann. Ich kann mir nicht vorstellen, warum ihm irgendjemand so etwas antut.«
»Entsetzlich«, bestätigte ich. »Was ist mit seiner Sozialversicherungsnummer? Wir haben die letzten vier Ziffern — 1776 — , aber die Schwester auf der Intensivstation hat ihn nicht gut verstanden, daher fehlt der erste Teil. Ich brauche lediglich die ersten fünf Ziffern für unsere Unterlagen. Unser Chef nimmt es nämlich ganz genau.«
Sie zeigte sich verblüfft. »Er war bei Bewusstsein?«
»Oh. Tja, ich weiß nicht, jetzt, wo Sie es erwähnen. Er muss es wohl gewesen sein, zumindest kurzzeitig. Woher sollten wir sonst auch nur die paar Ziffern haben?« Ich spürte ihr inneres Ringen. »Es ist nur in seinem Interesse«, fügte ich scheinheilig hinzu.
»Einen Moment bitte.« Ich hörte, wie sie auf ihre Computertasten tippte, und nach einer Weile las sie mir die ersten fünf Ziffern vor.
Ich notierte sie mir. »Danke. Sie sind ein Schatz. Herzlichen Dank.«
Nach kurzem Zögern war ihre Neugier doch stärker. »Wie geht’s ihm denn?«
»Es tut mir Leid, aber darüber darf ich nicht sprechen. Da müssten Sie beim medizinischen Personal nachfragen. Sie verstehen sicher, dass solche Daten vertraulich sind — vor allem hier an der Uni-Klinik.«
»Natürlich. Keine Frage. Tja, ich hoffe, er erholt sich wieder. Richten Sie ihm einen Gruß von Ingrid aus.«
»Mach ich.«
Zeit für Büroarbeit.
Ich zog meine Schreibtischschublade auf und nahm ein frisches Päckchen Karteikarten heraus. Dann begann ich, mir Notizen zu machen, indem ich so schnell schrieb, wie ich konnte, immer einen Punkt pro Karte, so dass sie nach und zu einem Stapel anwuchsen. Ich musste vieles nachholen; tagelang hatten sich Fragen angesammelt. Einige Antworten wusste ich bereits, aber die meisten Zeilen musste ich freilassen. Früher habe ich mir immer eingebildet, ich könnte mir alles merken, aber das Gedächtnis neigt dazu, auszusortieren und zu streichen und alles zu eliminieren, was im Moment nicht wichtig erscheint. Später ist es dann das ausgefallene, nicht dazu passende Detail, das manchmal dazu führt, dass sich die Puzzleteile wie von Zauberhand zusammenfügen. Allein die Einzelheiten zu Papier zu bringen reizt das Gehirn manchmal dazu, den entscheidenden Schritt zu tun. Es passiert nicht immer sofort, aber ohne die konkrete Notiz verschwinden die Daten einfach.
Ich sah auf die Uhr. Es war fünf nach sechs, und ich war vor Müdigkeit dermaßen erledigt, dass mir schon die Kleider wehtaten. Ich stellte die Telefonklingel ab, ging die Wendeltreppe hinauf, streifte die Schuhe von den Füßen, wickelte mich in eine Steppdecke und schlief.
Ich wachte um Viertel nach neun auf, obwohl es mir vorkam wie Mitternacht. Ich setzte mich im Bett auf, gähnte und versuchte mich zu orientieren. Die Müdigkeit lastete schwer auf mir. Ich schob die Decke beiseite und trat ans Geländer hinüber. Unten auf
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