Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
mit der Taschenlampe die gesamte Unterseite ab, stieß aber auf gar nichts. Dann schob ich die Matratze wieder zurecht und machte das Bett. Es war schlimmer als ein Zimmermädchen-Job im Hotel, was ich mir auch schon mal zugemutet hatte.
Ich kroch an den Rändern des Teppichbodens entlang, zog ein Stück nach dem anderen ab, ohne mehr zu finden als einen Tausendfüßler, der mir einen gehörigen Schreck einjagte. Ich versuchte es mit der Nachttischschublade. Das Diaphragma war weg, genau wie die Flasche Eau de Cologne und das Taschentuchpäckchen mit dem emaillierten Herz an der Goldkette. So, so, so. Seine jüngste Flamme musste von der Schießerei gehört haben. Auf jeden Fall hatte sie sich beeilt, die Spuren ihrer Beziehung verschwinden zu lassen. Sie musste selbst einen Schlüssel gehabt haben und irgendwann zwischen meinem ersten und meinem jetzigen Besuch in die Wohnung gekommen sein. Konnte sie jemand aus dem Haus sein? Das war eine Idee, die es wert war, ergründet zu werden.
Ich hielt mich eine gute halbe Stunde im Badezimmer auf, wo ich den Deckel von der Toilettenspülung abhob und mit Hilfe des Zahnarztspiegels und der abgewinkelten Taschenlampe nach Gegenständen suchte, die dahinter verborgen sein könnten. Nichts. Ich holte sämtliche Toilettenartikel aus dem Wandschränkchen und nahm das ganze Möbel von der Wand, um zu sehen, ob er dahinter ein Fach ausgehöhlt hatte. Fehlanzeige. Ich sah in die Duschstange und suchte den billig aussehenden Toilettentisch nach falschen Blenden oder Geheimfächern ab. Ich schraubte den Entlüftungsstutzen der Heizung los, klopfte die Fußleisten ab und lauschte auf hohle Stellen. Ich zog das PVC unter dem Waschbecken auseinander. Die Goldmünzen waren noch da. Ich legte sie in meinen Matchsack und steckte das Rohr wieder fest. Weiß Gott, was sich der nächste Mieter denken würde, wenn er eines Tages die vorgetäuschte Rohrleitung entdeckte. In der Innenrolle des Toilettenpapiers fand ich einen Hundertdollarschein.
Ich durchsuchte seinen Wandschrank, sah in jede Tasche und hinter die Reihe aufgehängter Kleidungsstücke, ob womöglich eine falsche Wand eingebaut war. Nichts. Die zahlreichen Taschen der schwarzen Lederjacke waren allesamt leer. Hinten im Schrank fand ich seinen Anrufbeantworter, den er wahrscheinlich abmontiert hatte, nachdem sein Anschluß »abgemeldet oder gesperrt« worden war. Ich klappte den Deckel auf, doch das Band hatten offenbar die Cops schon mitgenommen. Ich fand ein weiteres Versteck hinter der Fußleiste des Schranks. In eine schmale Rille, die an einem Steg entlang verlief, hatte Mickey einen zugeklebten Umschlag Größe zehn geschoben. Ich steckte ihn in meinen Matchsack, um ihn später zu untersuchen.
Ein weiteres Versteck musste ich noch ausleeren, das ich mir bis zuletzt aufgehoben hatte. Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück und schaltete das Deckenlicht aus. Dann schlich ich von Fenster zu Fenster und spähte in die Dunkelheit hinaus. Es war halb drei Uhr morgens, und die meisten Fenster in den benachbarten Gebäuden waren schwarz. Gelegentlich sah ich Licht brennen, doch stets hinter zugezogenen Vorhängen, bei denen niemand durch den Schlitz äugte. In der gesamten Umgebung konnte ich keinerlei Bewegung wahrnehmen. Die Verkehrsgeräusche waren nahezu verstummt.
Ich nahm die beiden Vorhänge herunter und montierte die Stangen ab. Dann entfernte ich die Endstöpsel und fischte das Geld heraus. Ich montierte die Stangen wieder und hängte die Vorhänge auf, wobei ich plötzlich angespannter agierte. Ich hob den Kopf. Hatte ich etwas gehört? Vielleicht war das polizeiliche Absperrband nur entfernt worden, um mich in Versuchung zu führen, und draußen wartete Detective Aldo. Er wäre überglücklich, wenn er mich mit einem Matchsack voller Einbruchswerkzeuge, Pistolen und falschen Papieren erwischen würde. Ich ließ das Deckenlicht aus und begnügte mich mit meiner Minitaschenlampe, während ich durch die Wohnung schritt, rasch meine Sachen zusammensuchte und dafür sorgte, dass ich keine persönlichen Spuren hinterließ. Dabei hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, etwas Offensichtliches übersehen zu haben, aber ich wusste, es wäre zu riskant, noch einmal zurückzugehen und zu versuchen, es herauszufinden. Ich war derart auf Flucht fixiert, dass ich das Knirschen von Schotter und das Knattern eines Motorrads, das in der Gasse zum Stehen kam, beinahe überhört hätte.
Zu spät begriff ich, dass ich das gedämpfte Röhren
Weitere Kostenlose Bücher