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Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Titel: Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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keinen Hinweis darauf gefunden, dass der Kredit zurückgezahlt worden war. Seltsam. Mickey brauchte das Geld dringend, und das Honky-Tonk lief eindeutig blendend.
    An der Wand wurde gerade ein Barhocker frei, und ich ließ mich auf ihm nieder. Mein Blick wanderte zurück zu den Fotos, und ich studierte das direkt neben mir. Wieder die drei Musketiere. Auf diesem hier saßen Mickey, Shack und Lit an der Bar. Sie hatten die Gläser erhoben und tranken jemandem außerhalb des Bildes zu ihrer Linken zu. Im Hintergrund war Dixie zu erkennen, den Blick auf Mickey fixiert und einen zugleich hungrigen und besitzergreifenden Ausdruck in den Augen. Warum hatte ich das damals nicht wahrgenommen? Wie blöd war ich eigentlich? Ich betrachtete das Bild mit zusammengekniffenen Augen und musterte die Gesichter eines nach dem anderen. Lit war seit jeher der Attraktivste von den dreien gewesen. Er war groß, hatte schmale Schultern, lange Arme und Beine und schöne lange Finger. Ich habe eine Schwäche für gute Zähne, und seine waren ebenmäßig und weiß, abgesehen von einem Eckzahn, der ein wenig schief saß und seinem Lächeln etwas Jungenhaftes gab. Sein Kinn war markant, und sein knochiger Kiefer lief breit aus. Sein Adamsapfel hüpfte beim Sprechen auf und ab. Das letzte Mal, dass ich ihn — allerdings auch nur im Vorübergehen — gesehen hatte, war vielleicht vier Jahre her. Sein Haar wurde damals schon schütter. Er war Anfang sechzig gewesen und demzufolge, was Shack gesagt hatte, steckte er bereits mitten im Überlebenskampf.
    Ich drehte mich auf dem Barhocker ein wenig zur Seite und musterte in der Hoffnung, Tim zu entdecken, meine Umgehung. Ich hatte Lits einzigen Sohn nie kennen gelernt. Damals, als ich mit Mickey verheiratet gewesen war und mit Tims Eltern herumhing, war er bereits erwachsen und ausgezogen. Er war 1970 zur Army gegangen und hatte sich im entsprechenden Zeitraum in Vietnam aufgehalten. Damals waren viele Cops aus Santa Teresa ehemalige Soldaten — sie waren Feuer und Flamme fürs Militär und begrüßten unsere Präsenz in Südostasien. Die Öffentlichkeit hatte seinerzeit bereits die Geduld mit dem Krieg verloren, aber das galt nicht für diese Kreise. Ich hatte Fotos von Tim gesehen, die seine Eltern herumzeigten. Er sah immer schmuddelig und zufrieden aus, eine Zigarette zwischen den Lippen, den Helm zurückgeschoben und das Gewehr an die Knie gelehnt. Lit las des Öfteren Auszüge aus Tims Briefen vor, in denen er seine Errungenschaften schilderte. Mir kam er rücksichtslos und trotzig vor, ein bisschen übereifrig, ein zwanzigjähriger Junge, der seine Tage bekifft verbrachte, mit Begeisterung »Schlitzaugen« umbrachte und dann später bei seinen Freunden zu Hause damit prahlte. Nach einem besonders widerlichen Vorfall, bei dem zwei tote vietnamesische Babys eine Rolle spielten, war er vor ein Militärgericht zitiert worden. Danach erzählte Lit nicht mehr viel, und als Tim unehrenhaft entlassen wurde, verstummte er ganz über seinen Sohn. Vielleicht stellte das Honky-Tonk Lits Hoffnung auf Tims Rehabilitation dar.
    Fast schlagartig blieb mein Blick an einem Mann hängen, bei dem ich darauf geschworen hätte, dass er Tim Littenberg war. Er war etwa Mitte dreißig, also ungefähr in meinem Alter, und wies zumindest eine oberflächliche Ähnlichkeit mit Roy Littenberg auf. Er hatte das gleiche hagere Gesicht, den markanten Kiefer und das hervorstehende Kinn. Er trug ein dunkellila Hemd und eine mauvefarbene Krawatte unter einem dunklen Sportsakko, dazu Jeans und Desertboots. Er war gerade ins Gespräch mit einer Kellnerin vertieft — vermutlich eine Standpauke, da sie ziemlich betreten dreinsah. Sie hatte glattes schwarzes Haar, das bei dieser Beleuchtung intensiv glänzte und eckig geschnitten war, ihre Stirn bedeckte ein stumpfer Pony. Sie trug schwarzen Eyeliner und knallroten Lippenstift. Ich schätzte sie auf Anfang dreißig, obwohl sie bei näherer Betrachtung auch älter gewesen sein könnte. Sie nickte mit versteinerter Miene und ging dann in meine Richtung davon. Sie nannte dem Barkeeper ihre Bestellung und fummelte mit ihrem Bestellblock herum, um ihre Erregung zu verbergen. Mit zitternden Händen zündete sie sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch dann in einem dünnen Strahl wieder aus. Dann legte sie die Zigarette in einen Aschenbecher auf dem Tresen.
    Ich drehte mich etwas zur Seite und sprach sie an. »Hi. Ich suche Tim Littenberg. Ist er im Haus?«
    Sie

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