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Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer

Titel: Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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sah mich an. Ihr Blick sank zunächst auf meine Jacke, dann blickte sie mir fragend in die Augen. Sie zeigte mit dem Daumen in seine Richtung. »Lila Hemd«, sagte sie.
    Tim hatte sich umgedreht, um einen Mann in einem tweedartigen Sportsakko zu begrüßen, und ich sah, wie er dem Barkeeper signalisierte, dass er ihm einen Gratisdrink ausgeben solle. Die beiden schüttelten sich die Hände, und Tim tätschelte ihm in einer freundlichen Geste, die vermutlich nicht viel bedeutete, den Rücken. Roy Littenberg war blond gewesen. Sein Sohn war brünett. Er hatte einen Schmollmund und dunklere Augen als sein Vater. Sie waren tief liegend und von Schatten umgeben. Wenn einmal ein Lächeln über sein Gesicht huschte, so reichte es nie bis zu seinen Augen. Seine Aufmerksamkeit wanderte ruhelos vom einen Raum zum anderen. Offenbar musste er ständig den Status seiner Gäste taxieren, ihr Alter sowie ihren Betrunkenheitsgrad abschätzen und jede Lachsalve und jeden übermütigen Wortwechsel auf gewalttätige Untertöne abklopfen. Jede Stunde, die das Honky-Tonk geöffnet hatte, wurde die Menge leichtsinniger und hemmungsloser, lauter und aggressiver, je mehr Alkohol durch die Kehlen strömte.
    Ich sah ihn auf die Bar zugehen und mir auf wenige Meter nahe kommen. Neben mir drehte sich die Kellnerin mit ihrem Tablett abrupt zur Seite, um ihm aus dem Weg zu gehen. Sein Blick streifte sie, wanderte weiter, begegnete dann meinem, schweifte erneut ab und kehrte zurück. Diesmal hielt er den Blickkontakt aufrecht.
    Ich lächelte. »Hi. Sind Sie Tim?«
    »Genau.«
    Ich hielt ihm eine Hand entgegen. »Ich heiße Kinsey. Ich kannte vor Jahren Ihren Vater. Es tat mir Leid zu hören, dass er gestorben ist.«
    Wir schüttelten uns die Hände. Tims Lächeln war kurz, vielleicht schmerzlich, obwohl das unmöglich festzustellen war. Er war mager wie sein Vater, doch wo Lits Wesen offen und heiter gewesen war, wirkte sein Sohn reserviert. »Kann ich Ihnen einen Drink spendieren?«
    »Danke, im Moment nicht. Hier ist ja wirklich schwer was los. Ist das immer so?«
    »Donnerstags läuft es gut«, antwortete er. »Da nehmen alle Anlauf fürs Wochenende. Sind Sie zum ersten Mal hier?« Es gelang ihm, unser Gespräch zu führen, ohne ganz davon in Anspruch genommen zu werden. Er hielt das Gesicht leicht abgewandt und war auf etwas anderes konzentriert — höflich, aber nicht unbedingt erpicht darauf, Konversation zu treiben.
    »Ich war vor Jahren öfter hier. Damals war ich bei der Polizei. Daher kannte ich auch Ihren Vater. Er war ein großartiger Mensch.« Dies schien keine besondere Reaktion hervorzurufen. »Sind Sie der Geschäftsführer?«
    »Der Besitzer.«
    »Tatsächlich? Tut mir Leid. Ich wollte Sie nicht beleidigen«, sagte ich. »Ich habe schon gemerkt, dass Sie alles genau im Auge behalten.«
    Er zuckte die Achseln.
    Ich sagte: »Sie müssen Mickey Magruder kennen.«
    »Ja, Mickey kenne ich.«
    »Ich habe gehört, dass er einen Anteil an diesem Lokal gekauft hat, und da habe ich gehofft, ihn hier zu treffen. Er war früher auch mal Cop. Und er war mit Ihrem Vater befreundet.«
    Tim schien mit den Gedanken woanders zu sein. »Die drei Musketiere, stimmt’s? Ich hab’ ihn seit Wochen nicht gesehen. Würden Sie mich bitte entschuldigen?«
    »Sicher«, sagte ich. Ich sah ihm nach, wie er quer durch den Raum zur Tanzfläche ging, wo er sich in eine Szene zwischen einer Frau und ihrem Partner einschaltete. Der Typ torkelte gegen sie, und sie hatte zu kämpfen, um ihn auf den Beinen zu halten. Andere Paare auf der Tanzfläche machten einen weiten Bogen um die beiden. Schließlich versetzte ihm die Frau einen Schubs, zugleich wütend und verlegen über seine Trunkenheit. Als Tim bei ihnen anlangte, war bereits einer seiner Rausschmeißer aufgetaucht und hatte begonnen, den Kerl auf die Tür zuzuführen, indem er diesen Ellbogengriff anwandte, den Streifenpolizisten benutzen sowie Mütter, deren Kinder sich im Kaufhaus schlecht aufführen. Die Frau machte einen Abstecher an ihren Tisch, schnappte sich Jacke und Handtasche und wollte ihm nachgehen. Tim schnitt ihr den Weg ab. Ein kurzer Wortwechsel folgte. Ich hoffte, dass er sie dazu überredete, mit dem Taxi nach Hause zu fahren.
    Augenblicke später tauchte er wieder neben mir auf und sagte: »Entschuldigen Sie den Zwischenfall.«
    »Ich hoffe, er setzt sich jetzt nicht ans Steuer.«
    »Der Türsteher hat ihm die Schlüssel abgenommen«, erwiderte er. »Wir lassen ihn hinten etwas zur Ruhe

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