Kinsey Millhone 15 - Gefaehrliche Briefe O wie Opfer
und anschließend auf die Wange. »Ich muss dich sprechen«, sagte sie und klang immer noch mitgenommen.
»Hast du mal daran gedacht, vorher anzurufen?«
»Ich habe angenommen, dass du es ablehnen würdest, dich mit mir zu treffen.«
»Und dann wartest du in der Finsternis? Bist du verrückt ?«
»Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht erschrecken. Der alte Herr im Haus war noch auf, als ich vor einer Stunde gekommen bin. Ich habe ihn in der Küche gesehen, als ich um die Ecke bog, also habe ich die Birne auf der Veranda herausgeschraubt. Ich wollte nicht, dass er mich bemerkt und sich fragt, was ich hier mache.«
»Und was machst du hier? Das ist mir immer noch nicht ganz klar.«
»Könnten wir reingehen? Ich verspreche, dass ich nicht lang bleibe. Ich habe keine Jacke dabei und friere wie ein Schneider.«
Wut wallte in mir auf. »Na dann komm«, sagte ich.
Ich machte mich auf den Weg durch den Garten. Als ich an der Veranda ankam, drehte ich an der Birne, bis das Licht anging. Sie folgte mir lammfromm. Ich zog meine Hausschlüssel hervor und öffnete die Tür.
Ich hielt einen Moment lang inne und zog die Schuhe aus. »Streif dir die Füße ab«, sagte ich giftig, bevor ich das Wohnzimmer betrat.
»Entschuldige. Natürlich.«
Ich zog ihr einen Küchenhocker heraus, ging dann um den Küchentresen herum und holte eine Flasche Brandy aus dem Schrank. Ich nahm zwei Marmeladengläser heraus, zog den Korken aus der Flasche und goss uns beiden je zwei Fingerbreit ein. Ich legte den Kopf in den Nacken und beförderte so den Brandy in meine Kehle. Ich schluckte flüssiges Feuer, mein Mund flog auf, und unsichtbare Flammen schossen heraus. Verdammt, das war scheußlich, aber es brachte Erleichterung. Ich erschauerte unwillkürlich, genau wie ich es tue, wenn ich Ny-Quil schlucke. Als ich wieder zu ihr hinsah, war ich ruhiger. Sie hatte ihr Glas genau wie ich auf einmal ausgetrunken, schien den Brandy aber besser zu verkraften.
»Danke. Das war gut. Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich rauche«, sagte sie und fasste in ihre Tasche, als besäße sie meine Zustimmung bereits.
»Du kannst draußen rauchen. Aber hier drin nicht.«
»Oh. Entschuldige«, sagte sie und steckte das Päckchen wieder ein.
»Und hör auf, dich zu entschuldigen«, sagte ich. Sie war aus einem bestimmten Grund hierhergekommen. Höchste Zeit, darauf zu sprechen zu kommen. »Schieß los«, sagte ich, als wäre sie ein Hund, der ein Kunststück vorführen soll.
Dixie schloss die Augen. »Was Mickey und ich getan haben, war unverzeihlich. Es ist dein gutes Recht, wütend zu sein. Ich war ekelhaft, als du am Montag zu mir gekommen bist. Ich entschuldige mich dafür, aber ich war völlig durcheinander. Ich war immer davon ausgegangen, dass du meinen Brief bekommen und beschlossen hättest, nichts zu unternehmen. Wahrscheinlich hab’ ich es genossen, dich des Treuebruchs zu beschuldigen. Es war schwer, mich von dieser Sichtweise frei zu machen.« Sie schlug die Augen auf und sah mich an.
»Weiter.«
»Das ist alles.«
»Nein, ist es nicht. Was noch? Wenn das alles ist, was du wolltest, hättest du mir ein Briefchen schreiben können.«
Sie zögerte. »Ich weiß, dass dir auf dem Weg die Einfahrt hinunter Eric begegnet ist. Ich bin dir dankbar, dass du ihm gegenüber nichts von Mickey und mir erwähnt hast. Du hättest mir eine Menge Ärger machen können.«
»Den Ärger hast du gemacht. Ich hatte überhaupt nichts damit zu tun.«
»Das ist mir klar. Ich weiß. Aber ich war mir nie sicher, ob Eric wusste, was los war.«
»Er hat es nie erwähnt?«
»Mit keinem Wort.«
»Dann sei froh. Ich würde es dabei belassen, wenn ich du wäre.«
»Das mach’ ich auch, glaub mir.«
Ich merkte, wie ich mich aufspaltete — ein Teil noch ganz präsent, während der andere Teil aus der Ferne zusah. Was sie bislang gesagt hatte, nahm ich ihr ab, aber sie musste noch mehr auf dem Herzen haben. Da ihr meine Begabung als unverfrorene Lügnerin fehlte, lief sie zwangsläufig etwas rot an, und münzgroße pinkfarbene Flecke erschienen auf ihren Wangen.
»Also was?«, hakte ich nach. »Soll ich dir versichern, dass ich bis in alle Ewigkeit den Mund halte?
»Ich weiß, dass ich das nicht verlangen kann.«
»Das stimmt. Aber andererseits wüsste ich auch nicht, wozu es gut sein sollte. Ob du’s mir glaubst oder nicht, aber nur weil du mich hintergangen hast, drehe ich jetzt nicht den Spieß um und zahle es dir mit gleicher Münze heim. Wolltest du noch
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