Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
Dolans Namen in rüpelhafter Lautstärke. Der Mann aus dem Zimmer daneben riss die Tür auf und steckte den Kopf heraus. »Hey! Nicht so laut, Herrgott noch mal! Und wenn Sie schon dabei sind, können Sie dem Blödmann gleich sagen, dass er seinen Fernseher ausmachen soll. Der dröhnt jetzt schon seit zehn Uhr, und mir reicht’s langsam. Manche Leute müssen arbeiten.«
»Tut mir Leid. Er ist behindert«, sagte ich und tippte mir ans Ohr. »Schwer hörgeschädigt, der arme Kerl.«
Der Gesichtsausdruck des Mannes ging von Ärger zu etwas Milderem über. »Oh. Das hab ich nicht gewusst.«
»Ist schon gut. Er wird ständig angepöbelt. Das ist er schon gewöhnt.«
Ich wartete, bis er verschwunden war, und machte mich dann ans Werk. In Filmen knacken Diebe die Schlösser immer in null Komma nichts, meistens mithilfe einer Kreditkarte, eine Methode, die ich kaum anwende. Ich traue dem Verfahren nicht. Ich kannte mal einen Typen, dessen Kreditkarte in der Tür, die er aufmachen wollte, abbrach. Ein Nachbar hatte ihn bei dem Einbruchversuch beobachtet und die Polizei gerufen. Als er die Sirenen hörte, machte er sich aus dem Staub, ließ aber die Hälfte seiner Karte zurück. Die Bullen fanden seinen Nachnamen und die letzten sechs Ziffern seiner Kreditkarte. Binnen eines Tages hatten sie ihn gefasst. In Wirklichkeit braucht man zum Knacken von Schlössern Übung, viel Geduld und ein nicht geringes Maß an Geschicklichkeit. Obwohl die meisten Schließmechanismen einfach sind, gibt es Varianten, die den unerfahrenen Einbrecher den letzten Nerv kosten. Ich brauche meist mehrere Versuche. Mit einem Auge zum Parkplatz stocherte ich mit meinem kleinen Drehmomentschlüssel herum. Falls Dolan ausgegangen war, wollte ich mich nicht von ihm dabei erwischen lassen, wie ich in sein Zimmer einbrach. Und ich war erst recht nicht scharf darauf, dass jemand die Polizei rief, falls mich ein anderer Gast hinter geschlossenen Vorhängen beobachtete. Wenn Dolan jedoch da drinnen war, so war es höchste Zeit, herauszufinden, was los war. Ich merkte, wie die letzte Sperre nachgab, drehte den Knauf, stieß die Tür auf und ging hinein. »Lieutenant Dolan?«
Er lag komplett angezogen, aber ohne Schuhe auf dem Bett und wandte mir das Gesicht zu. Sein Atem ging flach, und sein Gesicht war wächsern und grau. Ich machte den Fernseher aus und durchquerte den Raum.
Seine Stimme war rau und heiser. »Hab Sie klopfen hören, aber ich war im Bad und hab mich übergeben. Mir geht’s nicht so gut.«
»Das merke ich. Sie sehen schrecklich aus. Haben Sie Schmerzen in der Brust?« Aus der Nähe erkannte ich den feinen Schleier aus kaltem Schweiß auf seiner Stirn und seinen Wangen.
Er schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. »Engegefühl hier drinnen. Kann kaum atmen. Ein Gefühl, als säße mir ein Elefant auf der Brust.«
»Ach du Scheiße.« Ich schnappte mir das Telefon und rief die Sanitäter.
16
Es schien sich ewig hinzuziehen, bis der Rettungswagen endlich kam, obwohl es in Wirklichkeit nicht länger als sechs Minuten dauerte. Ich verständigte die Rezeption und wartete auf dem Parkplatz, damit ich die Sanitäter lotsen konnte. Noch bevor ich den Rettungswagen der Feuerwehr herbeirasen sah, hörte ich seine Sirene. Ich winkte, der Wagen schwenkte auf mich zu und kam mit quietschenden Bremsen zum stehen. Die Fahrerin und zwei Sanitäter stiegen aus. Sie trugen leuchtend gelbe Jacken, auf deren Rückseiten groß FIRE DEPARTMENT stand. Mitsamt ihrer Ausrüstung folgten sie mir in Dolans Zimmer.
Ich trat beiseite und sah zu, wie die beiden Männer die Möbel wegschoben, damit sie Platz für ihre Arbeit hatten. Sie gingen professionell ans Werk, wahrten aber einen Plauderton, um Dolan nicht noch mehr zu beunruhigen, denn zweifellos war ihm mittlerweile klar, wie tief er in der Klemme steckte. Einer der Sanitäter knöpfte ihm das Hemd auf und hörte ihm mit einem Stethoskop die Brust ab. Er maß Dolan den Puls und notierte sich etwas auf seinem Klemmbrett. Dann legte er ihm eine Blutdruckmanschette an, pumpte sie auf und las das Ergebnis ab, den Blick fest auf seine Armbanduhr geheftet. Er stellte Dolan mehrere Fragen, um die Symptome und Ereignisse abzuklären, die dem Anfall vorausgegangen waren. Erstaunt hörte ich, wie Dolan zugab, am Vorabend etwas Ähnliches erlebt zu haben, obwohl das Gefühl weniger ausgeprägt gewesen und binnen Minuten verschwunden sei. Schließlich griff die Sanitäterin ein. Sie verabreichte Dolan zwei
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