Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
Tetanusspritzen am Spätnachmittag. Justine war nirgends zu sehen, daher nahm ich an, dass die Mädchen bei den Großeltern abgestellt worden waren, während sie irgendetwas erledigte.
Ich roch Ruels Zigarette, noch bevor wir ihn sahen. Er saß auf demselben hölzernen Bürostuhl und hatte denselben Strohhut auf dem Hinterkopf. Er sah klein und harmlos aus, und Stacey war merklich verblüfft darüber, dass ich seinetwegen Unbehagen geäußert hatte. Ruel war fast im selben Alter wie Stacey, also schätzungsweise Anfang siebzig. Konzentriert wie ein Kind sah er sich abermals eine Fernsehsendung an. Diesmal war es ein derart schwachsinniger Zeichentrickfilm, dass sogar die kleinen Mädchen es vorzogen, sich von einem Hund jagen und beißen zu lassen.
Ohne aufzublicken sagte Ruel: »Sind Sie also wieder hier. Und Ihr Freund, wer ist das?«
Stacey trat vor und streckte die Hand aus. »Stacey Oliphant, Mr. McPhee. Ich bin Ermittler bei der Mordkommission der Sheriffbehörde von Santa Teresa. Freut mich, Sie kennen zu lernen.«
Ruel schüttelte ihm lustlos die Hand. »Sie sind sicher hier, um noch was anderes zu konfiszieren. Es ist eine verfluchte Schande, dass Sie einfach reinspazieren und mitnehmen können, was Sie wollen.«
»Ich kann Sie gut verstehen. Aber Gesetz ist Gesetz. Wir erfinden es nicht, wir führen es nur aus«, erklärte Stacey.
»Wie wahr«, sagte Ruel. »Jetzt kann ich sowieso nichts mehr machen. Aber sorgen Sie dafür, dass der Wagen ohne einen Kratzer zurückkommt.«
Ich sagte: »Moment mal. Wie soll das denn gehen? Das Auto war doch von vornherein verbeult.«
Ruel rollte verärgert die Augen. »Ich habe gemeint, davon abgesehen ohne weitere Schäden.«
Stacey mischte sich wieder ins Gespräch ein. »Mr. McPhee, ich bin erst gestern Abend angekommen und daher neu hier. Wenn es Ihnen nicht zu viel Aufwand ist, wäre ich froh, wenn Sie mich über den Stand der Dinge informieren könnten.«
»Fragen Sie doch sie, sie ist ja so schlau. Ich hab was Besseres zu tun.«
»Sie hat mir erzählt, dass Sie das Auto ziemlich günstig gekriegt haben.«
Wie ein Tonband spulte Ruel die Einzelheiten seines Schnäppchenglücks herunter. »Ich habe den Mustang 1969 umsonst bekommen. So ein Typ hat ihn in die Werkstatt gebracht, um die Sitze reparieren zu lassen. Dann ist das Auto gestohlen worden, und als es wieder da war, wollte er nichts mehr damit zu tun haben.«
»Tatsächlich? Gutes Geschäft«, sagte Stacey, als wäre er beeindruckt. »Und was hat Sie dazu bewogen, das Auto die ganzen Jahre über zu behalten?«
»Mein Sohn und ich wollten es restaurieren, aber jetzt hat man mir praktisch erklärt, dass es zu irgendeinem kriminellen Unternehmen benutzt worden ist. Ein Mord, stimmt das?«
»Ja, Sir. Da sind wir natürlich daran interessiert, uns die Sache genauer anzusehen.«
»Da müssten Sie mit dem früheren Besitzer reden. Ein Typ namens Gant. Womöglich hat er das Auto ja auch selbst gestohlen. Haben Sie daran schon mal gedacht?«
»Ich glaube nicht. Warum soll er sein eigenes Auto stehlen und es dann auf einmal Ihnen schenken?«
»Warum tun die Leute irgendwas? Vielleicht war er verrückt.«
»Auch möglich. Dummerweise ist er tot.«
»Zu schade. Sonst könnten Sie jetzt ihn belästigen statt mich«, sagte Ruel. Er zündete sich mit einem hölzernen Streichholz eine Zigarette an und warf es in sein Deckelglas. »Jedenfalls weiß ich nichts von einem Mord und mein Sohn noch weniger. Cornell müsste bald kommen und die Mädchen und ihren fiesen Hund holen. Reden Sie selbst mit ihm. Zeitverschwendung, wenn Sie mich fragen.«
»Das kann gut sein. Als Polizisten verfolgen wir bei unserer Arbeit immer wieder Spuren, die dann zu nichts führen. Zum Beispiel interessieren wir uns für eine Plane, die zusammen mit dem toten Mädchen abgelegt worden ist. Hat das mal jemand erwähnt?«
»Was für eine Plane?«
»Aus Segeltuch. Sieht aus wie eine Autoabdeckung oder eine Malerplane. Ms. Millhone hat in Ihrer Werkstatt mehrere Planen gesehen und sich gefragt, ob eine von Ihren damals zur gleichen Zeit verschwunden ist.«
»Nö. Da kann ich Ihnen nicht helfen. Zufälligerweise habe ich einen ganzen Haufen Planen, aber mir ist nie eine weggekommen, und wenn, war’s mir schnurzegal. Planen sind billig. Drehen Sie mal ‘ne Runde durch den Kmart, wenn Sie mir nicht glauben wollen.«
»Und was ist mit einer Autoabdeckung? Können Sie sich erinnern, ob auf dem Mustang eine drauf war, als er gestohlen
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