Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
mehr Lücken als Fakten dazwischen, aber schauen wir uns einfach mal an, was da ist.« Er zog die Kappe von dem schwarzen Filzstift und schrieb das Wort »Opfer« oben auf das eine und das Wort »Mörder« oben auf das andere Blatt. »Wir fangen mit der Unbekannten an.«
Ich holte ein frisches Päckchen Karteikarten aus meiner Umhängetasche, riss das Zellophan auf und begann mir Notizen zu machen.
5
Er schrieb rasch und mit sauberen Druckbuchstaben und fasste die Informationen aus der Akte zusammen, während wir den Fall durchsprachen. »Was kommt als Erstes?« Er hob den Filzstift und sah uns an. Wie jeder gute Lehrer wollte er dafür sorgen, dass wir die meisten Antworten selbst lieferten.
Dolan sagte: »Sie ist weiß. Alter zwischen zwölf und achtzehn.«
»Gut. Das bedeutet also ein Geburtsdatum irgendwann zwischen 1951 und 1957.« Stacey notierte Entsprechendes oben auf dem Papierbogen.
»Was ist mit dem geschätzten Todeszeitpunkt?«, fragte ich.
Ich dachte, Dolan würde den Autopsiebericht zu Rate ziehen, doch offenbar wusste er es auswendig. »Dr. Weisenburgh sagt, die Leiche hat ein bis fünf Tage dort gelegen; also ist es irgendwann zwischen dem neunundzwanzigsten Juli und dem zweiten August passiert. Er ist zwar mittlerweile im Ruhestand, aber ich habe ihn gebeten, sich noch mal in den Fall zu vertiefen, und er konnte sich an das Mädchen erinnern.«
»Na schön.« Stacey schrieb das Todesdatum unter das Geburtsdatum der Unbekannten. Alles weitere notierte er, indem er sich selbst diktierte. Rasch hakte er die Grundlagen ab: Größe, Gewicht, Augen- und Haarfarbe.
Dolan sagte: »Im Bericht steht blond, obwohl das wahrscheinlich gefärbt war. Man konnte dunkle Ansätze erkennen.«
»Sie hatte vorstehende Zähne und viele Füllungen, aber keine kieferorthopädischen Korrekturen«, ergänzte ich. Staceys Mundwinkel verzogen sich. »Vielleicht sollten wir hier unterbrechen und uns darüber unterhalten.«
Dolan schüttelte den Kopf. »In meiner Kindheit war noch nicht viel mit Zahnspangen. Meine Familie war groß – dreizehn Kinder –, und wir hatten alle schiefe Zähne. Schau mal. Die unteren sind krumm, aber die oberen sind gut.« Er wandte sich an mich. »Hatten Sie als Kind eine Spange?«
»Nö.«
»Ich auch nicht«, sagte Stacey. »So. Freut mich, dass wir das geklärt haben. Und was sagen uns jetzt die vorstehenden Zähne?«
»Tja, ich würde sagen, die meisten Kinder mit einem massiven Überbiss sind spätestens mit zehn beim Kieferorthopäden gewesen«, meinte Dolan. »Meine Nichte hat drei Kinder, daher weiß ich, dass sie früh anfangen – manchmal nehmen sie die Arbeiten in zwei oder drei Etappen vor. Wenn das Mädchen eine Spange hätte kriegen sollen, hätte sie sie längst haben sollen, als sie umgekommen ist.«
»Vielleicht reichte das Geld nicht«, mutmaßte ich.
»Könnte sein. Noch was?«
»Bei so vielen Löchern kann man auch auf eine miese Ernährung schließen. Bonbons. Limo. Junkfood«, erläuterte Dolan mit einem Seitenblick auf mich. Dann sagte er zu Stacey: »Ich will ja nicht snobistisch klingen, aber Jugendliche aus durchschnittlichen Mittel- bis Oberschichtsfamilien haben normalerweise keine so schlechten Zähne.«
»Denken Sie bloß mal an die Zahnschmerzen«, warf ich ein.
Stacey sagte: »Sie hat sie aber richten lassen. Der Zahnexperte von der Gerichtsmedizin glaubt sogar, dass alle Füllungen etwa zur gleichen Zeit gemacht worden sind, vermutlich ein oder zwei Jahre vor ihrem Tod.« »Das muss eine Stange Geld gekostet haben«, sagte ich.
»Denkt bloß mal an die ganzen Novocain-Spritzen«, sagte Dolan. »Da muss man stundenlang still sitzen, während einem der Bohrer durch den Kopf kreischt.«
»Hören Sie bloß auf. Ich krieg jetzt schon feuchte Hände. Ich habe nämlich Angst vorm Zahnarzt, falls Sie’s noch nicht wissen. Schauen Sie«, sagte ich und zeigte ihm meine Handflächen.
Stacey runzelte die Stirn. »Hat man je ein Diagramm von ihren Amalgamfüllungen kursieren lassen?«
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete Dolan. »Ich habe eine Kopie hier drin. Könnte sich als praktisch erweisen, wenn wir glauben, die passende Person dazu gefunden zu haben. Wir haben die Maxilla und die Mandibula.«
Ich sah zu ihm hinüber. »Ihren Ober- und Unterkiefer? Nach achtzehn Jahren?«
»Wir haben auch alle zehn Finger.«
Stacey notierte es auf dem Blatt. »Mal sehen, ob wir die vom Leichenbeschaueramt dazu bringen, noch mal Fingerabdrücke zu nehmen.
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