Kinsey Millhone 17 - Totenstille - Q wie Quittung
gerade dabei, Gläser und Geschirr in Kisten zu packen. Ein dicker Packen Seidenpapier lag auf der Arbeitsfläche, breite Bogen, die bestimmt neunzig auf eins zwanzig maßen. Es war nicht zu übersehen, dass er seinen Haushalt auflöste und seine Besitztümer zusammenpackte, um sie an einen unbekannten Ort zu expedieren.
»Wenn Sie irgendwas sehen, was Ihnen gefällt, nehmen Sie’s mit. Ich kann das Zeug nicht brauchen«, sagte Stacey auf einmal hinter mir.
Ich wandte mich um. »Was macht Ihr Kreuz?«
Er verzog das Gesicht. »So lala. Ich habe ein paar Tylenol genommen, die helfen.«
»Sie waren ganz schön fleißig. Ziehen Sie um?«
»Nicht direkt. Sagen wir mal, ich gehe vielleicht weg, und darauf will ich vorbereitet sein.« Heute hatte er eine dunkelblaue Strickmütze auf. Mit seinen gebleichten Brauen und dem langen, verwitterten Gesicht sah er aus wie ein Farmer, der auf einem brachliegenden Feld steht. Er trug eine weiche Stone-washed-Jeans, ein hellblaues Sweatshirt und braune Lammfellstiefel.
»Gehört Ihnen das Haus?«
»Gemietet. Ich wohne schon seit Jahren hier.« »Sie haben alles geordnet.«
»Langsam wird’s. Ich will kein Chaos hinterlassen, das hinterher jemand anders aufräumen muss. Con kümmert sich dann drum.« Der unausgesprochene Zusatz wenn ich tot bin stand zwischen uns im Raum.
»Con hat mir erzählt, Sie wollen neue Medikamente ausprobieren.«
Stacey zuckte mit den Schultern. »Klinische Versuche. Ein experimenteller Cocktail, der für Leute gedacht ist, die nichts mehr zu verlieren haben. Die Prozentzahlen sind nicht gut, aber ich hab mir gedacht, Mann, was soll’s, womöglich hilft’s ja irgendjemand anders. Manche überleben. Das ist eben Statistik. Ich finde es nur einfach dämlich, mir einzubilden, dass ich dazugehören würde.«
Con Dolan klopfte an der Haustür, trat unaufgefordert ein und stand eine Sekunde später in der Küchentür. Er hielt eine große, braune Einkaufstüte in der einen Hand und eine kleinere weiße Tüte in der anderen. »Na, was treibt ihr beiden?«
Stacey schob die Hände in die Hosentaschen und zuckte lässig mit den Schultern. »Wir überlegen gerade, ob wir zusammen durchbrennen sollen. Sie ist für San Francisco, damit wir über die Golden Gate Bridge fahren können. Ich hätte mehr Lust auf Vegas und barbusige Tänzerinnen. Wir wollten gerade eine Münze werfen, als du reingekommen bist.« Stacey wandte sich zum Herd und fragte mich über die Schulter: »Möchten Sie Kaffee? Milch hab ich keine.«
»Schwarz ist mir recht.«
»Con?«
Dolan hielt die weiße Tüte, die voller Fettflecken war, in die Höhe. »Doughnuts.«
»Feine Sache«, sagte Stacey. »Wir setzen uns ins Wohnzimmer und bereden alles.« Con ging mit seinen zwei Tüten ins Wohnzimmer, während Stacey irgendwo einen Turm ineinander steckender Styroporbecher ausgrub und in drei davon Kaffee goss. Er trat noch einmal an die Arbeitsfläche und nahm den Stapel Seidenpapier und einen dicken Filzstift. »Schnappen Sie sich bitte die Papierhandtücher. Mir sind die Servietten ausgegangen, und die einzige Sorte, die ich gesehen habe, waren diese Sparpackungen. Vierhundert Stück auf einmal. Es ist ein Witz. Und wenn Sie schon dabei sind, können Sie auch noch das Paketband mitnehmen.«
Ich nahm die Rolle Klebeband und meine Kaffeetasse, während Dolan noch mal zurückkam und zwei Küchenstühle holte. Dann tauchte er ein weiteres Mal auf und schnappte sich die restlichen zwei Becher mit Kaffee, um sie auf den Wohnzimmertisch zu stellen. Er fasste in die größere der beiden Tüten und zog drei große schwarze Aktenordner mit Dreifachlochung heraus. »Ich bin in den Copy-Shop gegangen und habe für jeden von uns eine gemacht. Mordakten«, erklärte er und verteilte sie. Ich musste an meine Anfänge in der Grundschule zurückdenken. Das Einzige, was mir daran gefallen hat, war Schreibwaren kaufen: Hefter, liniertes Papier, die Füller- und Bleistift-Sets.
Stacey klebte zwei Bogen sauberes Seidenpapier an die Wand, faltete eine Landkarte von Kalifornien auseinander und befestigte sie daneben. Er hatte etwas von einem geborenen Lehrer. Dolan und ich nahmen uns jeder einen Doughnut und zogen unsere Stühle heran. Stacey sagte: »Ich ergreife mal die Initiative, falls niemand was dagegen hat.«
Con erwiderte: »Spar dir die Bescheidenheit und schieß los.« »Okay. Skizzieren wir erst mal, was wir wissen. Dann sehen wir, wo die Lücken sind. Wahrscheinlich glaubt ihr jetzt, wir haben
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